Timm konnte nicht viel verlieren, wenn eine Margarine seinen Namen trug; aber er konnte möglicherweise viel gewinnen, wenn Selek Bei auf seiner Seite war. Der Junge entschloß sich, auf Selek Bei zu vertrauen.
„Sagen Sie den Herren, Baron, daß ich einverstanden bin!“
Lefuet atmete hörbar erleichtert aus. Aber im übrigen blieb er ruhig. „Dann“, sagte er, „wäre wieder einmal ein Vertrag zu unterschreiben. Da ist er!“
Die Teetasse wurde zur Seite gerückt und zwei gleichlautende Vertragsformulare vor Timm auf den Tisch gelegt. Der Baron erwartete, daß der Junge sie zuerst lesen würde. Aber Timm, der fürchtete, Lefuet könne ihm eine andere Feder anbieten, unterschrieb sofort. Mit dem Füllfederhalter Selek Beis.
Dann unterschrieb der Baron jedes Blatt zweimal: einmal im Namen seiner Gesellschaft und einmal als Timms Vormund. Leider achtete der Junge nicht darauf.
„Trinken wir auf die Timm-Thaler-Margarine, Timm Thaler!“ Der Baron nahm von einer kleinen Anrichte zwei geschliffene eckige Schnapsgläser und goß Rum hinein.
Dann klirrten die Gläser aneinander. Der Junge wußte nicht, ob er auf sein Glück oder auf sein Unglück anstieß. (Daß es sich um Jonnys Rum handelte, schien ihm ein gutes Omen zu sein.)
Baron Lefuet setzte sich wieder und erklärte, wie man für die Timm-Thaler-Margarine Reklame machen würde:
„Wir werden den Leuten erzählen, wie ein armer kleiner Gassenjunge das Herz des reichen Barons gerührt hat, wie er von diesem zum Erben eingesetzt wurde und wie er dann dafür gesorgt hat, daß alle Leute in armen Gassen eine gute und billige Margarine aufs Brot streichen können.“
„Aber das sind doch fast lauter Lügen“, begehrte Timm auf.
„Sie reden wie Selek Bei“, seufzte Lefuet. „Im übrigen ist Reklame niemals eine Lüge, sondern eine Beleuchtungsfrage.“
„Eine Beleuchtungsfrage, Baron?“
Lefuet nickte. „Sehen Sie, Herr Thaler, die Tatsachen stimmen doch alle: Sie sind als kleiner Junge in einer armen Gasse aufgewachsen; Sie haben das Erbe des Barons angetreten; und sogar die Marken-Margarine war Ihre Idee. Jetzt kommt es nur darauf an, diese Tatsachen ins rechte Licht zu drehen, und schon ist unser rührendes Margarinemärchen fertig. Es ist eine sehr gute Reklame. Die Konkurrenz wird toben. Aber überlassen Sie das getrost uns, Herr Thaler. Sprechen wir jetzt von Ihrem Photo.“
„Von dem Photo des lachenden Jungen?“
„Eben davon, Herr Thaler. Ich selbst bin ein, wenn auch bescheidener, Jünger der photographischen Kunst und werde diese Aufnahme machen. Es ist schon alles vorbereitet.“
Lefuet zog einen Vorhang zur Seite, hinter dem Timm eine Art kleiner Küche vermutet hatte. Aber dort stand auf einem Stativ ein Photoapparat und daneben ein Stuhl, über dessen Lehne ein abgenützter Knabenpullover hing. Das Verblüffendste für Timm war jedoch der photographische Prospekt im Hintergrund: ein riesenhaftes Photo seiner Gasse. Genau in der Mitte war die Tür zu seiner ehemaligen Wohnung zu sehen. Alles stimmte bis auf die geringsten Kleinigkeiten. Der Junge erkannte sogar die schmale Lücke im Mauerwerk des Nachbarhauses, in der er damals die fünf Mark versteckt hatte. Selbst den Geruch nach Pfeffer, Kümmel und Anis glaubte er zu spüren.
„Ziehen Sie, bitte, diesen Pullover über, und stellen Sie sich vor den Prospekt, Herr Thaler!“ Lefuet trug inzwischen den Photoapparat samt Stativ vorsichtig in die Mitte des Pavillons.
Timm tat alles, um was Lefuet ihn bat, wie im Traum. Bilder der Vergangenheit überschwemmten seine Gedanken: Der Vater. Die Stiefmutter. Der bleiche Erwin. Die Kuchenfreundin seiner Stiefmutter aus dem Haus ganz links. Frau Bebbers Laden rechter Hand. Die Sonntage. Die Wetten. Das Verhör am Abend. Ein karierter Herr. Ein Vertrag.
Der Junge mußte sich für einen Augenblick auf den Stuhl setzen. Lefuet beschäftigte sich mit dem Photoapparat.
Endlich war es soweit. Der Baron gab dem Pullover, den Timm jetzt trug, einen absichtlich schlampigen Sitz, brachte die Haare des Jungen ein wenig durcheinander und stellte ihn vor das Gassenphoto. Dann trat er zurück und hinter den Apparat.
„So ist es gut, Herr Thaler! Bleiben Sie dort stehen. Und nun sprechen Sie mir nach: Ich leihe mir mein Lachen nur für eine halbe Stunde. Dies verspreche ich bei meinem Leben.“
„Ich leihe mir mein Lachen... “ Timms Stimme versagte.
Aber sofort kam der Baron ihm zu Hilfe: „Sprechen Sie es in Blöcken nach. Das ist einfacher. Also: Ich leihe mir mein Lachen... “
„Ich leihe mir mein Lachen... “
„... nur für eine halbe Stunde.“
„... nur für eine halbe Stunde.“
„Dies verspreche ich... “
„Dies verspreche ich... “
„... bei meinem Leben!“
„... bei meinem Leben!“