„Ihre kleinen Freundlichkeiten, Herr Thaler, machen Eindruck auf die Leute. Bleiben Sie ruhig dabei; aber übertreiben Sie es nicht.“
Der Baron half dem Jungen aus dem Mantel, und man setzte sich.
„Sehen Sie, Herr Thaler, die Menschen sind in zwei Hälften geteilt, in Herren und in Diener. Unsere Zeit möchte diese Grenze verwischen; aber das ist gefährlich. Es muß Leute geben, die denken und befehlen, und solche, die nicht denken xmd die die Befehle ausführen.“
Timm trank ruhig seinen Tee, ehe er antwortete. „Als ich noch ein ziemlich kleiner Junge war, Baron, sagte mein Vater mir einmal: Glaube nicht an Herren und Diener, Junge! Glaube nur an kluge und dumme Leute, und verabscheue die Dummheit, wenn sie nicht gutmütig ist! Ich habe mir das damals in ein Schulheft geschrieben, deshalb weiß ich es noch.“
„Ihr Vater sagt praktisch dasselbe wie ich, Herr Thaler. Denn die Klugen sind die Herren, die Dummen die Diener.“
Timm erwiderte: „Selek Bei hat mir erklärt, daß in Afghanistan und in Südamerika nur diejenigen die Herren sind, die zufällig dazu geboren wurden.“
„Geburt ist kein Zufall“, brummte Lefuet mürrisch. „Im übrigen, Herr Thaler, ist Selek Bei ein Kommunist. Trotz seiner Religion. Er weiß es nur nicht. Ich aber weiß, daß er in Südamerika eine Armee bezahlt, die unseren Präsidenten stürzen soll. Und ich weiß auch, daß er in Afghanistan die Scherenschleifer gegen unseren Beauftragten, Ramadulla, aufwiegeln will.“
„Das wissen Sie?“ Timm machte ein so entsetztes Gesicht, daß der Baron hell auflachte.
„Ich weiß mehr, als Sie ahnen“, rief er lachend. „Ich kenne auch Ihren Vertrag mit Mister Penny, Herr Thaler. Und ich ahne, was für ein Angebot van der Tholen Ihnen gemacht hat.“
Diesmal verschluckte Timm sich am Tee. War denn Lefuet ein Gedankenleser?
Aber die Erklärung für die Weisheit des Barons war viel einfacher. Er selbst sagte es dem Jungen: „Jeder Diener in diesem Schloß ist zugleich mein Detektiv. Haben Sie nicht bemerkt, Herr Thaler, daß auf Ihrem Schreibtisch ein neues Löschblatt liegt?“
„Nein!“
„Nun, auf solche Kleinigkeiten sollten Sie achten! Wenn man das alte Löschblatt vor einen Spiegel hält, kann man Ihren Vertrag mit Mister Penny ziemlich deutlich lesen.“
In diesem Augenblick wußte Timm, daß er dem Baron, was Geschäfte anging, niemals gewachsen sein würde. Die Pläne der Nacht lösten sich auf wie der Dampf aus der Teetasse. Der Junge hatte eine Runde im Kampf um sein Lachen verloren.
„Werden Sie gegen Selek Bei und Mister Penny etwas unternehmen, Baron?“
Wieder lachte Lefuet und sagte: „Nein, mein Lieber! Es genügt mir, unterrichtet zu sein. Natürlich hat es mich geärgert, als ich erfuhr, was die beiden taten oder vorhatten. Aber um Ärgernisse leicht zu nehmen, dafür steht mir glücklicherweise Ihr Lachen zur Verfügung. Es erleichtert und befreit mich. Sie sehen, Herr Thaler, daß ich es zu nützlichen Zwecken verwende.“
„Sie scheinen alles in Ihrem Leben nur für nützliche Zwecke zu verwenden, Baron.“
„Mit zwei Ausnahmen, Herr Thaler: Mein Interesse für Bilder ist zwecklos und ebenso mein Interesse für Religi. .. Nein“, unterbrach er sich selbst. „Auch mein Interesse für Religion hat einen Zweck.“
Timm lenkte schnell von diesem Gespräch ab; denn er hatte keinen passenden Kronleuchter zur Hand. Er fragte: „Was ist mit dem Vertrag, den ich mit Mister Penny abgeschlossen habe?“
„Nun, Herr Thaler, ob Mister Penny die Stimm-Aktien bekommt, hängt davon ab, ob Sie mit einundzwanzig Jahren tatsächlich mein gesamtes Erbe samt Stimm-Aktien antreten. Der übrige Teil des Vertrages ist selbstverständlich gültig. Heute in einem Jahr werden die meisten Aktien unserer Reederei in Hamburg Ihnen gehören. Sie möchten wohl Herrn Rickert wieder in Amt und Würden einsetzen?“
„Ja“, sagte Timm, ohne zu zögern.
„Nun, hoffentlich ist er nächstes Jahr noch gesund und munter.“
Die letzte Bemerkung, die Lefuet ziemlich beiläufig gesprochen hatte, erschreckte den Jungen. Der Baron war ohne Zweifel zu allem fähig, auch dazu, Herrn Rickert auf irgendeine Weise umzubringen. Also mußte Timm so tun, als liege ihm gar nicht viel an Herrn Rickert. Deshalb sagte er: „Es tat mir leid, daß Herr Rickert wegen unseres kleinen Telefongesprächs seine Stellung verlor. Deshalb machte ich das Geschäft mit Mister Penny.“
Lefuet goß sich aus einer kleinen Kristallkaraffe Rum in den Tee und fragte: „Auch einen Schuß?“
Timm nickte, der Baron bediente ihn und sagte dann: „Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Herr Thaler. Nehmen Sie ein Jahr lang keinerlei Verbindung mit Herrn Rickert oder Ihren anderen Freunden in Hamburg auf; dann sorge ich dafür, daß Ihnen in einem Jahr die Hamburger Reederei-Aktien wirklich gehören. Einverstanden?“
„Ja“, sagte Timm nach kurzem Überlegen. „Einverstanden!“