Es waren für einen Jungen von vierzehn Jahren gewaltige Pläne. Er beabsichtigte nicht mehr und nicht weniger, als die Gesellschaft des Barons, diese reichste und mächtigste Firma der Welt,, mit der Hilfe Selek Beis in solche Konfusion zu bringen, daß Lefuet nur zwei Möglichkeiten blieben: entweder dem Jungen das Lachen zurückzugeben oder alle Macht und allen Reichtum mit einem Schlag zu verlieren.
Der Plan war wahnwitzig und selbst dann, wenn Selek Bei mitmachen würde, kaum durchzuführen. Timm, der eben erst in die Welt der großen Geschäfte hineingerochen hatte, unterschätzte bei weitem die Stabilität einer solchen nach tausend Seiten gesicherten Weltfirma. Er unterschätzte auch die Herren, mit denen er es zu tun hatte, und er unterschätzte den Zusammenhalt dieser Leute in Augenblicken der Gefahr. Jeder von ihnen würde in jedem Augenblick Frau, Kinder und Eltern ohne Zögern ins Elend stoßen, wenn er dadurch einen Zusammenbruch der Firma verhindern könnte. Lefuet würde sogar das Lachen zurückgeben.
Aber Timm war zu klein und zu wenig durchtrieben für einen solchen Plan. Sein Lachen war auf viel einfachere Art zurückzugewinnen, mit ein paar Worten nur. Doch in der Nähe des Barons hatte der Junge das Einfache verlernt. Er blickte um sieben Ecken statt geradeaus.
Als er um vier Uhr in der Frühe immer noch nicht schlief, las er noch einmal den Vertrag durch, den er mit Mister Penny geschlossen hatte. Dabei fiel sein Blick auf das Datum: Es war der dreißigste September. Es war sein Geburtstag.
Timm war fünfzehn Jahre alt geworden. Der Tag, den andere Jungen dieses Alters mit Kakao und Kuchen und Gelächter verbracht hätten, war für Timm ein Tag heimlicher Abmachungen und finsterer Pläne geworden. Verzweifelte Tränen machten aus einem pläneschmiedenden Verschwörer wieder einen unglücklichen Jungen ohne Lachen und bescherten ihm, als die Augen endlich zufielen, einen beinahe leichten Schlaf.
Der Tagesablauf im Schloß war streng geregelt. Morgens Schlag acht Uhr klopfte es an Timms Zimmertür, und ein junger freundlicher Diener, mit dem der Junge sich leider nicht unterhalten konnte, kam ohne Aufforderung herein, öffnete die Vorhänge und holte dann eine Kanne mit heißem Wasser, die er ins Waschbecken entleerte.
Wenn Timm sich gewaschen und angekleidet hatte, zog er an einer breiten bestickten Klingelschnur. Dann kam der Diener mit dem Frühstückstablett, stellte ein Tischchen vor das Fenster, verteilte darauf das Frühstücksgeschirr, goß Kakao in die Tasse, fügte Zucker und Rahm hinzu, rückte einen Stuhl an den Tisch, wartete mit den Händen an der Lehne, bis der Junge sich setzen wollte, und schob ihm den Stuhl unter. Dann verschwand er beinahe lautlos.
Am ersten Tag hatte der Diener den Jungen breit angelächelt. Aber schon vom zweiten Tage an lächelte er niemals mehr. Er machte ein eher trauriges Gesicht, als ob er Timms Kummer kenne.
Timm seinerseits ließ alles stumm geschehen. Obwohl er die Anteilnahme des Dieners spürte und ihn gem mochte, war er jedesmal froh, wenn die Frühstücks-Zeremonie vorüber war und er allein am Fenster saß.
Am Morgen nach der halb durchwachten Nacht fiel es Timm schwer aufzustehen. Außerdem war es noch nicht sehr hell; denn draußen goß es in Strömen. Trotzdem erhob der Junge sich, und das Zeremoniell mit dem Diener lief genau so ab wie an jedem Morgen. Timm hatte als Begleiter des Barons Beherrschung gelernt, Disziplin.
Beim Frühstück sah Timm durch das Fenster einen Teil der Schloßtreppe. Die glasierten bunten Hunde glänzten im Regen. Trotzdem sahen sie erbärmlich aus, wie sie da steif und hilflos unter den Wasserschauem ausharrten, in strenger, sinnloser Disziplin. Timm hatte das Gefühl, einer dieser Hunde zu werden, wenn es ihm nicht bald gelänge, wieder ein lachender Junge zu sein.
Das Telefon läutete. Lefuet war am Apparat. Er bat Timm, um fünf Uhr den Tee mit ihm einzunehmen. Im Roten Pavillon.
Timm sagte: „Gut, Baron!“ Und frühstückte weiter. Dabei überlegte er, was Lefuet wohl für ein Anliegen haben möge. Bisher war der Baron einfach hinauf ins Turmzimmer gekommen, wenn er den Jungen hatte sprechen wollen. Es mußte also einen ganz besonderen Grund für das Treffen im Pavillon geben.
Beim Mittagessen, das täglich um Punkt ein Uhr durch einen Gong angekündigt wurde und zu dem Timm über eine schön geschwungene geschnitzte Treppe zum Speisesaal ins Erdgeschoß hinunterging, beim Mittagessen also sagte der Baron nichts über die Einladung zum Tee, obwohl der Junge neben ihm saß.
Selek Bei, der gewöhnlich erst am Nachmittag in das Schloß kam, war diesmal schon da und aß mit. Timm hatte den Eindruck, daß an diesem Morgen eine wichtige Besprechung stattgefunden hatte. Aber die Herren schwiegen sich darüber aus. Es war überhaupt das schweigsamste aller Mittagessen im Schloß.