Die Geschichte von dem Kronleuchter schien Jonny ungeheuer zu belustigen. Er brüllte vor Lachen, schlug vergnügt auf die Tischplatte, daß die Gläser tanzten und der Wein überschwappte, und prustete: „Das ist ja zum Piepen, Junge! Das ist unbezahlbar! Weißt du, daß du den Affen damit an seiner empfindlichsten Stelle getroffen hast, Timm? Ernstlich, Kleiner!“
Jonny lehnte sich wieder in seinen Stuhl zurück. „Du konntest nichts Besseres tun, als den Kronleuchter zu zerdeppern. So was verträgt dieser Herr nicht! Besonders nicht in solchen Augenblicken.“
Der Steuermann erhob mit belustigtem Gesicht die Arme, wie es Lefuet bei der Beschwörung getan hatte, und sprach mit spöttischer Bedeutsamkeit:
„Der Herr der Ratten und der Mäuse, Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse!“
Timm hatte sich unbewußt ebenfalls in seinem Stuhl zurückgelehnt. Es war für ihn so beruhigend, jemanden über den Baron lachen und spotten zu hören. Zum erstenmal seit langer Zeit hörte er wieder ein Lachen, das ihm angenehm war.
Bei Jonnys spöttischer Beschwörung hatte Timm den Blick gesenkt. Er schaute auf den Holzfußboden und sah dort plötzlich eine ungeheuer fette Ratte, die ein satanisch hohes Pfeifen ausstieß und furchtlos auf Jonnys Beine zulief, als wolle sie ihn beißen.
Timm, den es vor Ratten ekelte, schrie: „Eine Ratte, Steuermann!“
Aber auch Jonny hatte das Tier bereits gesehen. Er handelte unwahrscheinlich schnell und geistesgegenwärtig. Während er das eine Bein, auf das die Ratte es anscheinend abgesehen hatte, zurückzog, hob er das andere blitzschnell und zerquetschte der Ratte mit einem kräftigen Fußtritt den Kopf. Was auf den Bodenbrettem liegenblieb, war so häßlich und ekelhaft, daß Timm rasch wegsah. Ihm war übel.
Jonny aber, der unverwüstliche Jonny, sagte grinsend: „Der Herr schickt seine Boten vor. Trink vom Wein, Timm, und sieh nicht hin!“
Diesmal nahm der Junge einen tiefen Schluck aus dem Glas, der fast unmittelbar wirkte. Die Übelkeit ließ nach; aber in seinem Kopf begann sich langsam eine Mühle zu drehen.
Jonny sagte jetzt: „Wir haben nicht mehr viel Zeit, Timm. Bald wird er selbst erscheinen. Laß dir eines sagen: Woran du nicht glaubst, das gibt es nicht! Verstehst du, was ich meine?“
Timm schüttelte verständnislos den Kopf, in dem das Mühlrad immer schneller kreiste.
„Ich will damit sagen“, erklärte Jonny, „daß du immer wieder Kronleuchter zerdeppern solltest, wenn der Baron dir auf die Nerven geht. Kapiert?“
Jetzt nickte Timm. Aber er erfaßte nur halb, was Jonny sagte. Die Augenlider wurden ihm schwer; denn er hatte schon im Palazzo Candido Wein trinken müssen, und er war an Alkohol nicht gewöhnt.
„Wenn du kannst, lach den Affen aus“, fuhr Jonny fort. „Du erbst genug, um dir die Freiheit nach außen zu erkaufen; aber die Freiheit nach innen, mein Junge, die erkaufst du dir durch ein anderes Kapital: durch Gelächter. Es gibt ein altes englisches Sprichwort. Es heißt...“
Der Steuermann runzelte die Stirn.
„Merkwürdig“, brummte er. „Eben wußte ich den Spruch noch, und jetzt ist er mir entfallen. Dabei liegt er mir auf der Zunge. Scheint am Wein zu liegen.“
„Mir bekommt der Wein auch nicht“, sagte Timm mit schwerer Zunge. Aber Jonny achtete kaum auf Timms Bemerkung. Er grübelte immer noch über den Satz nach, und plötzlich rief er: „Jetzt hab’ ich ihn: Teach me laughter, save my soul! Daß ich darauf nicht gleich gekommen bin!“ Er lachte über seine eigene Vergeßlichkeit, schlug sich dabei an die Stirn und sank mit einem Male, immer noch lachend, vom Stuhl zu Boden, wo er regungslos und mit bleichgewordenem Gesicht unweit der toten Ratte liegenblieb.
Als Timm, mit einem Schlag ernüchtert, auf sprang und sich erschrocken nach Hilfe umsah, fiel sein Bück auf den Kellner, der gleichmütig herüberschaute. Er nahm gerade von einem Herrn einen Geldschein entgegen. Dieser Herr hatte Timm den Rücken zugekehrt; aber dennoch erkannte der Junge ihn auf den ersten Blick. Es war der Baron.
Sofort war Timm wieder in jener angespannten Gemütsverfassung, die es ihm erlaubte, anders zu handeln und zu reden, als es seiner Natur gemäß war. Äußerlich ruhig, winkte er den Kellner heran und kniete dann neben Jonny nieder, der in der Ohnmacht langsam und schwerfällig, aber klar verständlich den englischen Spruch wiederholte: „Teach me laughter, save my soul!“
Gleich darauf sah Timm über sich den Kellner und dahinter den Baron.
„Herr Thaler, welch ein Zufall!“ rief Lefuet in gutgespielter Überraschung. „Wir suchen Sie seit einer Stunde.“
Timm sagte, ohne auf die Worte des Barons einzugehen: „Wenn dem Steuermann etwas Ernstliches zugestoßen ist, zeige ich Sie an, Baron! Und den Kellner ebenfalls!“
Jetzt war Lefuet belustigt. „Kein Grund zu irgendwelchen Aufregungen“, lächelte er. „Gesundheitlich hat er keinerlei Schaden genommen. Wir werden ihn allerdings aus unserem Dienst entlassen müssen. Aber ein Mann von solchen Kräften findet ja leicht Beschäftigung auf den Docks.“