Es klopfte, und ohne Timms Aufforderung abzuwarten, trat der Baron ein.
„Bleib ruhig liegen“, sagte Lefuet beim Eintritt. Dann knickte der hagere Mann wie ein Taschenmesser ein und fiel auf einen kostbaren Stuhl mit elfenbeinernen Einlegearbeiten. Er schlug die Beine übereinander und sah Timm belustigt an.
„Die letzte Wette war ein außerordentlicher Einfall, Timm Thaler! Respekt, mein Junge!“
Timm sah den Baron von unten herauf an und schwieg Lefuet schien auch darüber belustigt zu sein. Er fragte: „Wolltest du diese Wette eigentlich gewinnen oder verlieren? Es würde mich interessieren, das zu erfahren.“
Timm antwortete ausweichend: „Meistens schließt man Wetten ab, um sie zu gewinnen.“
„Dann war es ein exquisiter Einfall!“ rief der Baron. Er sprang wieder auf, kreuzte die Arme über der Brust und begann, in den Räumen auf- und abzuwandem.
Timm blieb auf der Chaiselongue liegen und fragte von dort: „Gilt unser Vertrag eigentlich noch? Ich habe ihn doch mit dem ersten Baron Lefuet abgeschlossen und nicht mit dessen angeblichem Zwillingsbruder. “
Lefuet kehrte vom Salon ins Schlafzimmer zurück und sagte im Gehen: „Der Vertrag wurde mit dem Baron L. Lefuet abgeschlossen. Ich heiße Leo Lefuet. Vorher nannte ich mich Louis Lefuet. Beide Male einL. mein Junge.“
„Wenn es gar keinen Zwillingsbruder gibt“, fragte Timm weiter, „wer wird dann an Ihrer Stelle begraben?“
„Ein armer Hirte ohne Familie, mein junger Freund.“
Lefuet sprach mit genüßlich gespitztem Munde: „Im Hochland von Mesopotamien, unweit des Berges Djabal Sindjar, liegt mein Hauptwohnsitz, ein kleines Schloß; dort trägt man ihn an meiner Statt zu Grabe.“
Der Baron nahm seine Wanderung in die anderen Gemächer wieder auf. Während seine Stimme sich entfernte, hörte Timm ihn sagen: „Mein Schlößchen liegt im Lande der Yeziden. Weißt du, wer die Yeziden sind?“
„Nein“, erwiderte Timm, der sich über die Redseligkeit des Barons wunderte.
Die Stimme kam wieder näher. Lefuet sagte: „Yeziden sind Teufelsanbeter. Sie glauben, daß Gott dem Teufel verziehen und ihm die Leitung der Welt übertragen habe. Deshalb beten sie Satan als den Herrn der Welt an.“
Der Baron war wieder ins Schlafzimmer zurückgekehrt. Timm sagte ohne große Anteilnahme: „Aha, so ist das! “
„Aha, so ist das“, äffte der Baron den Jungen sichtlich verärgert nach. Zum erstenmal verlor sein Gesicht den belustigten Zug. „Der Teufel scheint dir gleichgültig zu sein, wie?“
Timm begriff nicht, was den Baron bei diesem Gespräch so erregte. Er fragte in aller Unschuld: „Gibt es den Teufel denn wirklich?“
Lefuet sank wieder in den elfenbeinverzierten Stuhl. Er stöhnte: „Bist du so einfältig, oder tust du nur so? Hast du nie von Menschen gehört, die mit dem Teufel einen Vertrag geschlossen und diesen Pakt mit ihrem Blut unterschrieben haben?“
Bei dem Wort „Vertrag“ horchte Timm auf. Er glaubte, Lefuet wolle jetzt über seinen Vertrag mit ihm reden. Aber der Baron faselte weiter von Teufeln und Dämonen. Er sprach von Belial, dem Herrn der Hölle, von den Dämonen Forcas, Astaroth und Behemoth, von Hexen und Schwarzer Magie und von dem berühmten Zauberer Doktor Faustus, der den Unterteufel Mephistopheles zum Diener hatte.
Als er merkte, daß er den Jungen damit gründlich langweilte, erhob er sich und murmelte: „Ich muß deutlicher werden.“
Timm hatte sich wieder in die Kissen zurückgelegt. Seine rechte Hand, die herunterbaumelte, spielte, ohne daß der Junge sich dessen bewußt war, mit einem der seidenen Pantoffeln, die man ihm bereitgestellt hatte. Sein Blick war wieder auf den Kronleuchter gerichtet, in dessen gläsernen Tropfen sich die hagere Figur des Barons vielfach und in seltsamen Verzerrungen spiegelte.
Lefuet fragte jetzt geradezu: „Willst du den Spruch lernen, mit dem Doktor Faustus seinen Teufel beschwor?“
„Nein“, sagte Timm, ohne den Kopf zu wenden. Er sah durch die flirrenden Glastropfen des Kronleuchters eine vervielfachte Grimasse des Barons zucken, und dann hörte er wieder dessen Stimme.
„Soll ich die Beschwörung wenigstens sprechen?“ fragte Lefuet mit merklich unterdrücktem Ärger.
„Meinetwegen, Baron!“ Man hörte Timms Stimme an, daß dies alles ihm gleichgültig war. Immerhin wurde seine Neugierde ein kleines bißchen wach, als er die winzigkleinen Lefuets in den geschliffenen Gläsern ihre spindeldürren Ärmchen beschwörend erheben sah.
Lefuet sprach jetzt sehr langsam und mit merkwürdig hohler Stimme die Worte:
„Bagabi laca bachabe
Lamac cahi achababe
Karrelyos
Lamac lamec Bachlyas
Cabahagy sabalyos... “
Als der Baron mit der Beschwörung so weit gekommen war, fing der Kronleuchter leicht zu schwanken an - wahrscheinlich eine Folge von Lefuets heftigen Armbewegungen - und eine aufgestörte ungewöhnlich große Spinne seilte sich aus der Mitte des Kronleuchters an ihrem Faden nach unten.
Timm, der sich vor Spinnen ekelte und den die geheimnisvolle Formel überdies in gereizte Stimmung versetzt hatte, faßte den Seidenpantoffel, mit dem seine herunterhängende Hand gespielt hatte, und schleuderte ihn wütend gegen die Spinne.