»Haben Sie's? Soll ich wiederholen? Oder lesen Sie es mir nochmals vor, von wegen doppelt genäht hält besser?«
»Ich glaube, ich hab's mitgekriegt, vielen Dank«, sagte Smiley. Etwas verspätet dämmerte ihm, daß Lacon betrunken war.
»George, wir haben eine Verabredung, vergessen Sie's nicht. Ein Seminar über die Ehe, bei dem alle Griffe erlaubt sind. Ich hab Sie zu meinem Guru ausersehen. Da ist ein nicht unübles Steak-House gleich um die Ecke, und ich werde Ihnen ein gepflegtes Dinner auffahren lassen, während Sie mir etwas von Ihrer Weisheit abgeben. Haben Sie einen Terminkalender zur Hand? Tragen wir doch gleich was ein.«
Voll düsterer Vorahnungen machte Smiley ein Datum fest. Nachdem er ein Leben lang Legenden für jede Gelegenheit erfunden hatte, war er immer noch außerstande, sich aus einer Dinner - Einladung herauszureden.
»Und Sie haben nichts gefunden?« fragte Lacon, jetzt wieder in leiserem Ton. »Keinen Haken? Keinen Wurm? Keinen dicken Hund? War ein Sturm im Wasserglas, wie wir vermuteten, nicht wahr?«
Eine Menge Antworten kamen Smiley in den Sinn, aber er erachtete sie alle für zwecklos.
»Was ist mit der Telefonrechnung?« frage Smiley.
»Telefonrechnung? Welche
Telefonrechnung? Ah, Sie meinen
»Ich habe Sie Ihnen bereits zugesandt«, sagte Smiley geduldig.
»Ich bat Sie, die nachprüfbaren Anrufe aufschlüsseln zu lassen.«
»Werde mich sofort darum kümmern«, antwortete Lacon leutselig. »Sonst noch was?«
»Nein. Nein, ich glaube nicht. Sonst nichts.«
»Legen Sie sich ein bißchen aufs Ohr. Sie klingen ganz erschossen.«
» Gute Nacht«, sagte Smiley.
Mit Anns Lupe in der drallen Hand machte Smiley sich von neuem an die Untersuchung des Bildes. Der Boden der Grube war mit einem anscheinend weißen Teppich ausgelegt; die Sofas standen im Halbrund vor der Stoffbespannung, die das Gesichtsfeld abschloß. Im Hintergrund sah man eine Polstertür, und daran hingen die abgelegten Kleidungsstücke der Männer - Jacken, Krawatten, Hosen -, so ordentlich wie in einem Spitalzimmer. Auf dem Tisch stand ein Aschenbecher, und Smiley versuchte, die Aufschrift auf dem Rand zu entziffern. Nach vielem Hin- und Hergeschiebe der Lupe fand er schließlich, was der verhinderte Philologe in ihm als die erschlossene (putative) Buchstabengruppe »A-C-H-T« bezeichnete. Er konnte jedoch nicht sagen, ob es sich dabei um das deutsche Zahlwort handelte oder um vier Buchstaben eines längeren Worts, zum Beispiel des Worts »Achtung«. Er stellte in diesem Stadium auch keine weiteren Spekulationen an, sondern speicherte einfach die Nachricht in einer rückwärtigen Zelle seines Gedächtnisses, solange, bis irgendein weiteres Teilstück des Puzzles zwangsläufig die richtige Plazierung ergeben würde.
Ann rief an. Er mußte wieder einmal eingedöst sein, denn er erinnerte sich später nicht daran, das Klingeln des Telefons gehört zu haben, nur ihre Stimme, als er langsam den Hörer ans Ohr gehoben hatte: »George, George«, als ob sie schon eine ganze Weile nach ihm gerufen und er sich erst jetzt aufgerafft oder bequemt hätte, ihr zu antworten.
Sie begannen ihr Gespräch wie zwei Fremde, so, wie sie sich im Bett einander näherten.
»Wie geht es dir?« fragte sie.
»Danke, gut, sehr gut. Und dir? Was kann ich für dich tun?« »Ich möchte es wirklich wissen«, beharrte Ann. »Wie geht es dir? Sag.«
»Ich sagte doch schon: gut.«
»Ich habe heute Vormittag angerufen. Warum hast du dich nicht gemeldet?«
»Ich war aus.«
Lange Pause, während sie die fadenscheinige Begründung zu werten schien. Das Telefon hatte sie nie zur Eile angestachelt.
»Aus, beruflich?«
»Eine Verwaltungssache für Lacon.«
»Der fängt aber neuerdings früh mit dem Verwalten an.«
»Seine Frau hat ihn verlassen«, sagte Smiley als Erklärung.
Keine Antwort.
»Du hast immer gesagt, daß sie das tun sollte«, fuhr er fort. »Sie solle zusehen, daß sie da rauskomme, hast du gesagt, bevor sie ebenfalls zur Beamten-Geisha würde.«
»Ich habe es mir überlegt. Er braucht sie.«
»Aber sie braucht ihn offenbar nicht«, beschied Smiley sie in gewollt lehrhaftem Ton.
»Dummes Weib«, sagte Ann, und es folgte eine weitere Pause, die diesmal auf Smileys Konto ging, denn er mußte über den unversehends aufgetauchten Berg von Möglichkeiten nachdenken, vor den sie ihn gestellt hatte.