Morgen würde er ein Guckloch anbringen, gegen Bezahlung. Die Concierge versprach, die Post für sie entgegenzunehmen und zu verabredeten Zeiten herauf zubringen - um Punkt elf Uhr vormittags, um sechs Uhr nachmittags, zweimal kurz klingeln, -, gegen Bezahlung. Wenn sie die Lamellen des winzigen Ventilators in der Toilette auseinanderbog und auf einen Stuhl stieg, konnte die Ostrakowa jederzeit den Hof überblicken und sehen, wer kam und ging. Sie hatte an das Lagerhaus geschrieben, daß sie unpäßlich sei. Ihr Doppelbett konnte sie nicht vom Fleck rücken, also trug sie Kissen und Federbett zum Diwan und stellte ihn so, daß er wie ein Torpedo durch die geöffnete Tür des Wohnzimmers direkt auf die Flurtür zielte. Sie brauchte sich nur noch hinzulegen, die Stiefel gegen den Feind gerichtet, und genau über die Spitzen hinweg zu feuern, und wenn sie sich dabei nicht den eigenen Fuß abschoß, so würde sie den Eindringling im ersten Augenblick der Überraschung erwischen, ehe er sich auf sie stürzen konnte: Sie hatte alles bedacht. Ihr Schädel dröhnte und tobte, bei jeder jähen Kopfbewegung wurde ihr schwarz vor den Augen, sie hatte hohes Fieber und war manchmal einer Ohnmacht nahe. Aber sie hatte alles bedacht, sie hatte ihre Vorkehrungen getroffen, und bis zur Ankunft des Generals oder des Magiers würde es wieder ganz so sein wie in Moskau. »Du bist auf dich allein gestellt, du alte Närrin«, schalt sie sich laut. »Du mußt dir schon selber helfen, also tu's auch.«
Mit einem Foto von Glikmann und einem von Ostrakow rechts und links von ihr auf dem Boden, und einer Ikone der Heiligen Jungfrau unter der Bettdecke schickte Maria Ostrakowa sich zu ihrer ersten Nachtwache an, flehte während der langen Stunden eine Armee von Heiligen an - nicht zuletzt den heiligen Josef-, sie möchten ihr den Retter schicken, den Magier.
Niemand klopft mir eine Botschaft über die Wasserleitung durch, dachte sie. Nicht einmal ein Wärter kommt, der mich mit Beschimpfungen aufweckt.
12
Es war immer noch derselbe Tag und kein Ende, kein Bett in Sicht. Nachdem George Smiley die Bibliothek verlassen hatte, marschierte er eine Weile ziellos dahin. Er war zu müde, zu angespannt, um sich ans Steuer seines Autos zu wagen, aber immerhin wach genug, um nach Verfolgern Ausschau zu halten und jene Art vager, aber jäher Haken zu schlagen, auf die eventuelle Beschatter nicht gefaßt sind. Er kämpfte gegen die Müdigkeit und versuchte zugleich Dampf abzulassen, wegzukommen vom Dauerstreß seiner vierundzwanzigstündigen Parforcejagd. Das Embankment sah ihn, und auch ein Pub an der Northumberland Avenue, wo er sich, abgekämpft und verschmuddelt, einen großen Whisky genehmigte und hin und her überlegte, ob er nicht Stella anrufen solle - alles in Ordnung? Dann aber die Nutzlosigkeit des Unterfangens einsah -, er konnte schwerlich jeden Abend telefonieren und fragen, ob sie und Willem noch am Leben seien. Also machte er sich wieder auf den Weg und landete schließlich in Soho, das an Samstagabenden womöglich noch mieser ist als sonst. Lacon anbohren, dachte er, Schutz für die Familie anfordern. Aber er brauchte sich nur die Szene auszumalen, um zu wissen, daß nichts dabei herauskommen würde. Wenn der Circus schon für Wladimir nicht zuständig war, wie konnte er es dann für Willem sein? Und wie, bitte sehr, sollte man ein Team von Babysittern auf einen Fernlastfahrer ansetzen, dessen Fahrtziele auf dem Kontinent lagen? Sein einziger Trost war, daß Wladimirs Mörder anscheinend gefunden hatten, was sie suchten: daß ihr Bedarf gedeckt war. Doch wie stand es mit der Frau in Paris?
Wie stand es mit der Schreiberin der beiden Briefe?
Geh nach Hause, dachte er. Zweimal tätigte er Scheinanrufe von Telefonzellen aus und überwachte dabei den Gehsteig. Einmal ging er in eine Sackgasse und krebste wieder zurück, wobei er auf den huschenden Schritt achtete, auf das Auge, das seinem Blick auswich. Er erwog, ein Hotelzimmer zu nehmen. Er tat das zuweilen. Nur, um eine Nacht lang in Sicherheit zu sein. Manchmal war seine Wohnung einfach zu gefährlich für ihn.