»Verdammt, Goldmond! Sei keine Närrin! Bei diesem Sturm werden wir nirgendwo an Bord gehen!« fauchte Tanis. Alle starrten ihn erstaunt an, sogar Raistlin hatte sich aufgerichtet. Goldmonds Augen waren dunkel vor Schmerz, ihr Gesicht verhärtete sich und erinnerte den Halb-Elfen, daß nie jemand zu ihr in diesem Ton sprach. Flußwind stand mit beunruhigtem Gesicht neben ihr. Das Schweigen wurde peinlich. Schließlich räusperte sich Caramon. »Wenn wir morgen nicht aufbrechen können, dann versuchen wir es eben einen Tag später«, sagte er beruhigend.
»Mach dir deswegen keine Sorgen, Tanis. Die Drakonier werden bei dem Wetter nicht rausgehen. Wir sind sicher…«
»Ich weiß. Es tut mir leid«, murmelte er. »Ich wollte dich nicht so anfahren, Goldmond. Die vergangenen Tage waren nur so nervenaufreibend. Ich bin so müde, ich kann nicht mehr richtig denken. Ich gehe auf mein Zimmer.«
»Der Wirt hat es weitervermietet«, sagte Caramon, dann fügte er hastig hinzu, »aber du kannst hier schlafen, Tanis. Nimm mein Bett…«
»Nein, ich kann auf dem Boden schlafen.« Tanis wich Goldmonds Blick aus und begann, seine Drachenrüstung abzulegen, seine Augen waren auf seine zitternden Finger gerichtet.
»Schlaf gut, mein Freund«, sagte Goldmond leise.
Er hörte in ihrer Stimme die Sorge, konnte sich ihre mitfühlenden Blicke vorstellen, die sie mit Flußwind wechselte. Der Barbar legte seine Hand auf seine Schulter. Dann gingen sie. Tika wünschte murmelnd eine gute Nacht, bevor sie die Tür hinter sich schloß.
»Ich helfe dir«, bot Caramon an, der wußte, daß Tanis an Rüstungen nicht gewöhnt war und Schwierigkeiten mit den Schnallen und Gurten hatte. »Soll ich dir etwas zu essen besorgen? Etwas zu trinken? Vielleicht Glühwein?«
»Nein«, antwortete Tanis erschöpft, »ich will einfach nur schlafen.«
»Dann nimm zumindest meine Decke«, beharrte Caramon, da der Halb-Elf vor Kälte zitterte.
Tanis nahm die Decke dankbar an, obwohl er nicht sicher war, ob er wegen der Kälte zitterte oder wegen seines inneren Aufruhrs. Er legte sich hin und hüllte sich mit der Decke und seinem Mantel ein. Dann schloß er die Augen und konzentrierte sich darauf, regelmäßig zu atmen, da er wußte, daß Caramon nicht eher schlafen würde, bis er sicher war, daß Tanis entspannt ruhte. Bald hörte er Caramon ins Bett gehen und kurz darauf schnarchen. Im anderen Bett hustete Raistlin. Als er sicher war, daß die Zwillinge eingeschlafen waren, streckte Tanis sich aus und legte seine Hände unter den Kopf. Er lag wach da und starrte in die Dunkelheit.
Im Morgengrauen traf die Drachenfürstin im Wirtshaus Zur salzigen Brise ein. Der Nachtdiener bemerkte sofort die schlechte Laune der Fürstin. Sie hatte die Tür mit mehr Kraft als der Sturm aufgerissen und starrte wütend in den Schankraum, als ob seine Wärme und Behaglichkeit sie beleidigten. Tatsächlich schien sie mit dem draußen tobenden Sturm eins zu sein. Sie war es, die die Kerzen zum Flackern brachte, und nicht der heulende Wind. Sie war es, die die Dunkelheit hereinbrachte. Der Nachtdiener stolperte ängstlich auf seine Füße, aber die Augen der Fürstin waren nicht auf ihn gerichtet. Kitiara starrte den Drakonier an, der an einem Tisch saß und durch ein kaum wahrnehmbares Flackern in seinen dunklen Reptilienaugen signalisierte, daß etwas schiefgelaufen war.
Hinter der entsetzlichen Drachenmaske verengten sich die Augen der Fürstin bedrohlich, ihr Blick wurde kalt. Einen Moment lang stand sie in der Tür, ignorierte den eisigen Wind, der in das Gasthaus wehte.
»Komm nach oben«, sagte sie schließlich in ungnädigem Ton zu dem Drakonier.
Die Kreatur nickte und folgte ihr. Seine Klauenfüße klapperten über den Holzboden.
»Gibt es etwas…«, begann der Nachtdiener, zuckte dann zusammen, als die Tür mit einem lauten Knall zuschlug.
»Nein!« fauchte Kitiara. Mit der Hand am Schwert stolzierte sie an dem bebenden Mann vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und stieg die Stufen zu ihren Räumen hoch. Der Diener sank zitternd in seinen Stuhl zurück.
Kitiara hantierte mit ihrem Schlüssel und riß die Tür auf. Sie blickte sich schnell im Zimmer um.
Es war leer.
Der Drakonier wartete geduldig und schweigend hinter ihr. Wütend riß Kitiara ihre Drachenmaske vom Gesicht. Sie schleuderte sie aufs Bett und befahl, ohne sich umzusehen: »Komm herein und schließ die Tür!«
Der Drakonier gehorchte und schloß die Tür leise hinter sich. Kitiara hatte die Hände an die Hüften gelegt und starrte grimmig auf das zerwühlte Bett.
»Er ist also verschwunden.« Es war eine Feststellung und keine Frage.
»Ja, Fürstin«, zischelte der Drakonier.
»Du bist ihm gefolgt, wie ich dir befohlen habe?«
»Natürlich, Fürstin.« Der Drakonier verneigte sich.
»Wohin ist er gegangen?«
Kitiara fuhr mit einer Hand über ihr dunkles, lockiges Haar. Sie hatte sich immer noch nicht umgedreht. Der Drakonier konnte nicht ihr Gesicht sehen, und er hatte keine Vorstellung, welche Gefühle – wenn überhaupt – sie verbarg.
»Ein Gasthaus, Fürstin. Am Stadtrand. Es heißt Zum Wellenbrecher.«