»Eine andere Frau?« Die Stimme der Fürstin war angespannt.
»Ich glaube nicht, Fürstin.« Der Drakonier lächelte verstohlen. »Ich vermute, Freunde von ihm wohnen dort. Wir erhielten Berichte über Fremde in dem Gasthaus, aber da sie nicht mit der Beschreibung des Hüters des Grünen Juwels übereinstimmen, sind wir der Sache nicht nachgegangen.«
»Steht dieses Gasthaus jetzt unter Beobachtung?«
»Gewiß, Fürstin. Man wird Euch unverzüglich informieren, wenn er – oder überhaupt ein Gast – das Gebäude verläßt.«
Die Fürstin stand einen Moment schweigend da, dann drehte sie sich um. Ihr Gesicht war zwar kalt und ruhig, aber äußerst blaß. Aber es konnte eine Menge Gründe für diese Blässe geben, dachte der Drakonier. Es war ein langer Flug vom Turm des Oberklerikers bis hierher. Den Gerüchten nach hatte ihre Armee eine schwere Niederlage erlitten, die legendäre Drachenlanze und die Kugeln der Drachen waren wieder aufgetaucht. Bisher war sie erfolglos beim Auffinden des Hüters des Grünen Juwels, der so verzweifelt von der Dunklen Königin gesucht wurde und der sich in Treibgut aufhalten sollte. Die Fürstin hat viele Probleme, dachte der Drakonier amüsiert. Warum regt sie sich dann über einen Mann auf? Sie hatte genügend Liebhaber, und die meisten waren charmanter als dieser launische Halb-Elf. Bakaris, zum Beispiel…
»Du hast deine Sache gut gemacht«, unterbrach Kitiara schließlich die Gedanken des Drakoniers. Sie schnallte ihre Rüstung ohne jedes Schamgefühl ab. Sie schien sich wieder unter Kontrolle zu haben. »Du wirst dafür belohnt werden. Jetzt laß mich in Ruhe.«
Der Drakonier verbeugte sich wieder und verließ, die Augen zu Boden gerichtet, das Zimmer. Aber die Kreatur ließ sich nicht zum Narren halten. Während der Drachenmann aus dem Zimmer trat, sah er, daß der Blick der Fürstin auf einem Pergamentbogen haften blieb. Der Drakonier hatte das Pergament schon beim Eintreten bemerkt. Es war mit der zierlichen Elfen-Handschrift beschrieben. Als der Drakonier die Tür schloß, hörte er ein lautes Geräusch – die Drachenrüstung war mit voller Wucht gegen eine Wand geschleudert worden.
2
Verfolgung
Gegen Morgen hatte sich der Sturm ausgetobt. Das monotone Geräusch des vom Dachsims tröpfelnden Wassers hämmerte auf Tanis’ schmerzenden Kopf ein. Fast wünschte er sich den heulenden Wind zurück. Der Himmel war grau und finster. Sein Bleigewicht drückte auf die Stimmung des Halb-Elfen.
»Es wird immer noch starker Seegang sein«, erklärte Caramon weise. Da er aufmerksam Williams Seemannsgeschichten (der Wirt des Wirtshauses Zum flötenden Eber in der Hafenstadt Balifor) gelauscht hatte, betrachtete sich Caramon als Fachmann in Sachen Seefahrt. Niemand von den anderen widersprach ihm, da sie selber nichts davon verstanden. Nur Raistlin betrachtete seinen Bruder mit einem spöttischen Grinsen, wenn Caramon – der nur wenige Male in seinem Leben in kleinen Booten gehockt hatte – wie ein alter Seebär zu erzählen begann.
»Vielleicht sollten wir es gar nicht erst riskieren, hinauszugehen…«, begann Tika.
»Wir gehen. Heute!« sagte Tanis grimmig. »Und wenn wir schwimmen müssen, heute verschwinden wir aus Treibgut.«
Die anderen warfen sich Blicke zu, dann sahen sie wieder zu Tanis. Er starrte aus dem Fenster und sah weder ihre hochgezogenen Augenbrauen noch ihr Schulterzucken, aber er war sich ihrer Reaktionen bewußt.
Die Gefährten waren im Zimmer der Zwillinge versammelt. Es war noch eine Stunde bis zur Morgendämmerung, aber Tanis hatte sie geweckt, sobald der Wind zu heulen aufgehört hatte. Er holte tief Luft, dann wandte er sich ihnen zu. »Es tut mir leid. Ich weiß, es klingt paradox«, sagte er, »aber es gibt hier Gefahren, die ich jetzt nicht erklären kann. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Aber niemals zuvor waren wir in größerer Gefahr als in diesem Moment, in dieser Stadt. Wir müssen aufbrechen, und zwar sofort!« In seiner Stimme lag ein Hauch von Hysterie, und er brach ab.
Alle schwiegen. Dann sagte Caramon unruhig: »Sicher, Tanis.«
»Wir haben alle gepackt«, fügte Goldmond hinzu. »Wir können jederzeit verschwinden, sobald du bereit bist.«
»Dann laßt uns gehen«, sagte Tanis.
»Ich bin noch nicht fertig«, stammelte Tika.
»Dann mach. Beeil dich«, sagte Tanis.
»Ich helfe dir«, bot Caramon leise an.
Der große Mann, wie Tanis in die gestohlene Rüstung eines Drachenoffiziers gekleidet, und Tika verließen schnell das Zimmer. Wahrscheinlich wollen sie noch einige Minuten allein sein, dachte Tanis ungeduldig. Goldmond und Flußwind holten ihr Gepäck aus ihrem Zimmer. Raistlin bewegte sich nicht. Er hatte alles, was er brauchte – seine Beutel mit seinen wertvollen Zauberzutaten, den Stab des Magius und die kostbare Kugel der Drachen.