Tanis konnte Raistlins seltsame Augen spüren, die sich in ihn bohrten. Es war, als könnte Raistlin die dunkle Stelle in der Seele des Halb-Elfen mit dem glitzernden Licht seiner goldenen Augen durchdringen. Aber der Magier sagte nichts. Warum? dachte Tanis wütend. Er würde Raistlins Fragen, seine Anschuldigungen fast begrüßen. Er würde eine Möglichkeit begrüßen, sich von der Last zu befreien und die Wahrheit zu sagen, trotz der Folgen, die das Ganze haben würde.
Aber Raistlin schwieg und hustete fast ununterbrochen. Nach wenigen Minuten kehrten die anderen zurück.
»Wir sind bereit, Tanis«, sagte Goldmond mit gedämpfter Stimme.
Einen Moment lang konnte Tanis nicht sprechen. Ich sage es ihnen, beschloß er. Er holte tief Luft und wandte sich ihnen zu. Er sah ihre Gesichter, er sah das Vertrauen, den Glauben an ihn. Sie folgten ihm, ohne Fragen zu stellen. Er brachte es nicht fertig, sie zu enttäuschen. Er konnte diesen Glauben nicht erschüttern. Es war das einzige, woran sie sich klammern konnten. Seufzend schluckte er die Worte hinunter, die ihm auf der Zunge lagen.
»Gut«, sagte er mürrisch und ging zur Tür.
Maquesta Kar-Thon erwachte aus einem tiefen Schlaf durch ein Klopfen an ihrer Kabinentür. Da sie daran gewöhnt war, jederzeit geweckt zu werden, war sie sofort hellwach und griff nach ihren Stiefeln.
»Was ist los?« rief sie.
Bevor ihr geantwortet wurde, hatte sie bereits die Situation des Schiffes eingeschätzt. Ein Blick durch das Bullauge zeigte ihr, daß sich der Wind zwar gelegt hatte, aber aus der Bewegung des Schiffes konnte sie erkennen, daß schwerer Seegang war.
»Die Passagiere sind gekommen«, antwortete eine Stimme, die sie als die ihres Ersten Offiziers erkannte.
Landratten, dachte sie verbittert, seufzte und ließ den Stiefel fallen, den sie gerade anziehen wollte. »Schick sie weg«, befahl sie und legte sich wieder hin. »Heute legen wir nicht ab.«
Draußen schien eine heftige Auseinandersetzung stattzufinden, denn sie hörte, wie sich die Stimme ihres Ersten Offiziers in Wut hob und eine andere Stimme zurückschrie. Müde kämpfte sich Maquesta auf die Füße. Ihr Erster Offizier, Bas Ohn-Koraf, war ein Minotaurus – eine Rasse, der man nicht gerade ein gelassenes Temperament nachsagte. Er war außerordentlich stark und dafür bekannt, grundlos zu töten – ein Grund, warum das Meer ihn anzog. Auf einem Schiff wie der
Maque warf die Tür ihrer Kabine auf und stürmte aufs Deck.
»Was ist los?« fragte sie mit ihrer strengsten Stimme, während ihre Augen von dem Tierkopf ihres Offiziers zu dem bärtigen Gesicht des Drachenoffiziers fuhren. Aber sie erkannte die leicht geschlitzten braunen Augen des bärtigen Mannes und fixierte ihn kalt. »Ich sagte, daß wir heute nicht ablegen, Halb-Elf, und das ist mein Ernst…«
»Maquesta«, unterbrach Tanis sie schnell, »ich muß mit dir reden!« Er wollte sich an dem Minotaurus vorbeischieben, aber Koraf ergriff ihn und warf ihn zurück. Hinter Tanis knurrte ein kräftiger Drachenoffizier auf und trat einen Schritt vor. Die Augen des Minotaurus glänzten gierig auf, als er flink einen Dolch aus seiner weiten bunten Schärpe zog.
Die Mannschaft versammelte sich unverzüglich auf dem Deck und hoffte, einen Kampf zu erleben.
»Caramon…«, warnte Tanis.
»Koraf…!« schnappte Maquesta mit einem wütenden Blick, der ihren Ersten Offizier daran erinnern sollte, daß es sich bei der Gruppe um zahlende Kunden handelte, mit denen man höflicher umging, zumindest solange man sich noch im Hafen aufhielt.
Der Minotaurus knurrte, aber der Dolch verschwand genauso schnell, wie er aufgetaucht war. Dann drehte sich Koraf hochmütig um und verschwand. Die Mannschaft murmelte enttäuscht, aber trotzdem munter. Es versprach eine interessante Fahrt zu werden.
Maquesta half Tanis auf die Füße und musterte ihn mit dem aufmerksamen, prüfenden Blick, wie sie einen Mann musterte, der sich bei ihr um Arbeit bewarb. Sie erkannte sofort, daß der Halb-Elf sich in den vier Tagen, seit sie mit dem großen Mann den Handel für eine Schiffsreise auf der
»Komm in meine Kabine«, sagte Maque ungnädig und führte ihn nach unten.
»Bleib bei den anderen, Caramon«, sagte der Halb-Elf. Der Mann nickte. Caramon warf dem Minotaurus einen düsteren Blick nach, denn ging er zu den Gefährten.