Als er noch einmal in die Nacht starrte, erschauerte er, sah vor seinem geistigen Auge den Offizier durch die leeren Straßen von Treibgut laufen, von der schattenhaften Gestalt des Drakoniers gefolgt.
»Ich habe es mir anders überlegt«, murmelte der Wirt, »laß mich schlafen.«
Der Sturm brachte in dieser Nacht alles in Treibgut zum Erliegen. Die Tavernen, die normalerweise bis zum Morgengrauen geöffnet hatten, waren verriegelt und verschlossen, die Straßen waren verlassen. Niemand wagte sich nach draußen in den Wind, der einen Mann umwerfen konnte und selbst die wärmste Kleidung durchdrang.
Tanis ging schnell, mit gesenktem Kopf, und hielt sich in der Häusernähe. Sein Bart war bald von Eis umrahmt. Graupel stach in sein Gesicht. Der Halb-Elf schüttelte sich vor Kälte und verfluchte das kalte Metall der Drachenrüstung an seinem Körper. Gelegentlich blickte er sich um. Vielleicht hatte doch jemand ein besonderes Interesse an seinem Verlassen des Gasthauses gehabt. Aber er konnte so gut wie nichts erkennen. Graupel und Regen umwirbelten ihn, so daß er kaum die hohen Gebäude sehen konnte, die schemenhaft in der Dunkelheit aufragten. Nach einer Weile beschloß er, sich lieber auf seinen Weg durch die Stadt zu konzentrieren. Bald war er starr vor Kälte, und es wurde ihm gleichgültig, ob ihm jemand folgte oder nicht.
Er war noch nicht lange in Treibgut – genauer gesagt vier Tage. Und die meiste Zeit davon hatte er mit
Und dann fand er das Gasthaus. Er stolperte durch die verlassenen Straßen, glitt auf Eis aus und schluchzte fast vor Erleichterung, als er das Schild wild im Wind schaukeln sah. Er hatte sich nicht einmal an den Namen erinnern können, aber jetzt fiel er ihm wieder ein – Zum Wellenbrecher.
Dummer Name für ein Gasthaus, dachte er, während er, vor Kälte schlotternd, kaum den Türgriff fassen konnte. Als er die Tür öffnete, wurde er mit der Wucht des Windes hineingeblasen, und nur mit Mühe konnte er sie wieder hinter sich zudrücken.
Es gab keinen Nachtwächter – nicht in diesem schäbigen Gasthaus. Im Schein eines Kaminfeuers sah Tanis einen Kerzenstummel auf der Theke liegen. Seine Hände zitterten so sehr, daß er den Feuerstein kaum halten konnte. Er zwang seine steifgefrorenen Finger zu gehorchen, zündete die Kerze an und stieg die Treppe hoch.
Wenn er sich umgedreht und aus dem Fenster geschaut hätte, hätte er eine Gestalt im Türeingang auf der anderen Straßenseite erkennen können. Aber Tanis sah nicht aus dem Fenster, seine Augen waren auf die Stufen gerichtet.
»Caramon!«
Der kräftige Krieger saß sofort kerzengerade, seine Hand griff unwillkürlich nach seinem Schwert, noch bevor er sich umdrehte und seinen Bruder fragend ansah.
»Ich habe draußen ein Geräusch gehört«, flüsterte Raistlin.
»So wie wenn eine Schwertscheide gegen eine Rüstung schlägt.«
Caramon schüttelte den Kopf, um die Schläfrigkeit zu vertreiben, und kletterte mit dem Schwert in der Hand von seinem Lager. Er schlich zur Tür, bis auch er das Geräusch wahrnahm, das seinen Bruder aus seinem leichten Schlaf geweckt hatte. Ein Mann in Rüstung bewegte sich verstohlen im Korridor vor ihren Räumen. Dann konnte Caramon das schwache Licht einer Kerze durch einen Türspalt sehen. Das Geräusch der klappernden Rüstung hörte direkt vor ihrem Zimmer auf.
Caramon machte Raistlin ein Zeichen. Raistlin nickte und verschmolz mit den Schatten. Seine Augen wirkten abwesend. Er rief sich einen Zauberspruch ins Gedächtnis.
Das Kerzenlicht unter der Tür flackerte. Der Mann mußte die Kerze in die andere Hand genommen haben, um seinen Schwertarm frei zu haben. Caramon schob langsam und geräuschlos den Türriegel zurück. Der Mann zögerte, vielleicht war er sich nicht sicher. Er wird es schon noch schnell genug herausfinden, dachte Caramon.
Caramon riß plötzlich die Tür auf. Er sprang vor, packte die dunkle Gestalt und zerrte sie ins Zimmer. Mit seiner ganzen Kraft schlug der Krieger den Mann zu Boden. Die Kerze fiel runter, ihre Flamme erstickte im geschmolzenen Wachs. Raistlin begann einen Zauberspruch zu singen, der ihr Opfer in einer klebrigen, spinnenähnlichen Substanz festhalten würde.
»Halt! Raistlin, hör auf!« schrie der Mann. Caramon, der die Stimme erkannte, ergriff seinen Bruder und schüttelte ihn, um seine Trance zu unterbrechen.
»Raist! Es ist Tanis!«
Zitternd kam Raistlin aus seiner Trance. Dann begann er zu husten und griff sich an die Brust.
Caramon warf seinem Zwillingsbruder einen besorgten Blick zu, aber Raistlin wehrte ihn mit einer Handbewegung ab. Caramon drehte sich um und half dem Halb-Elfen auf die Füße.