Als ich fertig war, stand Vashet auf und strich sich über das Kinn. »Hm«, sagte sie langsam, »es könnte auf jeden Fall schlimmer sein …« Ich fühlte mich schon ein wenig geschmeichelt, da fuhr sie fort: »… wenn du zum Beispiel nur ein Bein hättest.«
Sie ging um mich herum und musterte mich eingehend. Verschiedentlich streckte sie die Hand aus und drückte mich in Brust und Bauch. Sie betastete meine Oberarme und den dicken Muskel oberhalb meines Beines. Ich kam mir vor wie ein Spanferkel auf dem Markt.
Zuletzt fasste sie mich an den Händen, drehte sie um und betrachtete sie. Sie schien angenehm überrascht. »Du hast nie gekämpft, bevor Tempi es dir beigebracht hat?«, fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf.
»Du hast gute Hände«, sagte sie. Sie strich mit den Fingern über meine Unterarme und befühlte die Muskeln. »Die Hälfte von euch Barbaren hat vom Nichtstun weiche, schwache Hände. Die andere Hälfte hat vom Holzhacken oder Pflügen starke, grobe Hände.« Sie drehte meine Hände in den ihren. »Aber du hast starke und kluge Hände und bewegliche Handgelenke.« Sie hob fragend den Kopf. »Wovon bestreitest du deinen Lebensunterhalt?«
»Ich bin Student der Universität und arbeite dort mit Werkzeugen zur Bearbeitung von Metall und Stein«, erklärte ich. »Außerdem bin ich Musiker. Ich spiele Laute.«
Vashet sah mich erschrocken an und brach dann in Lachen aus. Sie ließ meine Hände los und schüttelte bestürzt den Kopf. »Auch das noch«, sagte sie. »Ein Musiker. Wunderbar. Wer weiß davon?«
»Warum?«, fragte ich. »Ich schäme mich nicht dafür.«
»Nein, natürlich nicht. Das ist ja unter anderem das Problem.« Vashet atmete tief durch. »Also gut, ich sage es dir lieber gleich, damit sparen wir uns langfristig eine Menge Ärger.« Sie sah mich an. »Du bist eine Hure.«
Ich erwiderte ihren Blick entgeistert. »Wie bitte?«
»Hör mir bitte kurz zu. Du bist ja nicht schwer von Begriff und hast bestimmt schon bemerkt, dass es riesige Unterschiede gibt zwischen hier und dem Land, in dem du aufgewachsen bist …«
»Dem Commonwealth?«, fiel ich ein. »Da hast du recht. Im Vergleich zu den anderen Söldnern aus Vintas waren die Unterschiede zwischen Tempi und mir riesig.«
Vashet nickte. »Was natürlich zum Teil auch daran liegt, dass Tempi keine Unze Verstand im Kopf hat und in weltlichen Dingen so naiv ist wie ein Neugeborener.« Sie machte eine Handbewegung. »Aber davon abgesehen hast du recht. Die Unterschiede sind immens.«
Ich nickte. »Zum Beispiel scheint es euch nichts auszumachen, nackt herumzulaufen. Oder aber Tempi ist ein Exhibitionist.«
»Würde mich ja interessieren, wie du das herausgefunden hast.« Vashet kicherte. »Aber stimmt. So seltsam es für dich klingen mag, wir haben tatsächlich keine Angst vor einem nackten Körper.«
Sie sah mich nachdenklich an und schien zu einem Entschluss zu gelangen. »Es ist wahrscheinlich am einfachsten, wenn ich es dir zeige. Sieh mir zu.«
Ich sah also zu, wie ihr Gesicht den für die Adem typischen teilnahmslosen Ausdruck annahm, bis es so leer war wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Auch ihre Stimme klang auf einmal monoton und ausdruckslos. »Sage mir, was ich jetzt mache.«
Sie trat auf mich zu, ohne mich anzusehen. Mit der Hand machte sie die Bewegung für
»Du lobst mich«, sagte ich.
Vashet nickte und trat zurück. Dann veränderte sie sich. Ihr Gesicht belebte sich, sie sah mich lächelnd an und trat dicht vor mich. »Du kämpfst wie ein Tiger«, sagte sie. In ihrer Stimme schwang Bewunderung. Sie legte mir eine Hand auf die Schulter, mit der anderen umfasste sie meinen Oberarm und drückte ihn.
Ihre Nähe machte mich auf einmal verlegen. »Das ist ein Annäherungsversuch«, sagte ich.
Vashet trat wieder zurück und nickte. »Ihr empfindet bestimmte Dinge als intim. Nackte Haut, Körperkontakt, die Nähe eines anderen Körpers, Streicheln und Küssen. Für die Adem ist das nichts Besonderes.«
Sie sah mich an. »Hast du ein einziges Mal einen von uns schreien hören? Die Stimme erheben? Oder auch nur so laut sprechen, dass alle ihn verstehen?«
Ich überlegte kurz und schüttelte den Kopf.
»Das liegt daran, dass das Sprechen für uns etwas Privates ist, wie übrigens auch die Mimik. Oder das.« Sie drückte sich die Finger an den Hals. »Wie die Wärme, die von einer Stimme ausgehen kann, und die damit verbundenen Gefühle. Das ist für uns sehr intim.«
»Und nichts ist stärker mit Gefühlen verbunden als Musik«, sagte ich und nickte. Die Vorstellung war so seltsam, dass ich mich erst daran gewöhnen musste.
Vashet nickte ernst. »Die Mitglieder einer Familie singen vielleicht zusammen, wenn sie sich nahe stehen. Eine Mutter singt vielleicht ihrem Kind etwas vor oder eine Frau ihrem Mann.« Bei diesen Worten errötete Vashet ein wenig. »Aber nur, wenn sie sich sehr lieb haben und wenn sie allein sind.«