Sie klatschte in die Hände. »Du kannst viel von mir lernen. Aber da dein Rücken noch wund ist, wollen wir heute auf den Ketan verzichten. Führe mir stattdessen dein Ademisch vor. Lass hören, wie du meine schöne Sprache mit deiner groben, barbarischen Zunge verunstaltest.«
In den folgenden Stunden erfuhr ich eine Menge über das Ademische. Ich genoss es, ausführlich fragen zu können und verständliche und aufschlussreiche Antworten zu erhalten. Nach wochenlangem Tasten im Dunkeln kam mir diese Art zu lernen fast schon verboten leicht vor.
Doch Vashet gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass meine Gebärdensprache beschämend primitiv war. Zwar konnte ich mich verständlich machen, aber höchstens auf dem Niveau eines Kleinkinds. Im schlimmsten Fall hörte ich mich an wie ein wild drauflos brabbelnder Verrückter.
»Jetzt klingst du in etwa so.« Vashet stand auf, fuchtelte mit den Händen über ihrem Kopf herum und zeigte mit den Daumen auf sich. »Ich gut kämpfen.« Sie grinste dümmlich. »Mit Schwert!« Sie schlug sich mit den Fäusten an die Brust und hüpfte wie ein aufgeregtes Kind auf und ab.
»Ach komm«, protestierte ich verlegen. »So schlimm ist es nicht.«
»Aber fast«, entgegnete Vashet ernst und setzte sich wieder. »Wenn du mein Sohn wärst, würde ich dich nicht aus dem Haus lassen. Als mein Schüler ist deine einzige Entschuldigung, dass du ein Barbar bist. Es kommt mir vor, als hätte Tempi einen Hund mitgebracht, der pfeifen kann. Dass du auch noch falsch pfeifst, spielt dabei keine Rolle mehr.«
Sie tat, als wollte sie aufstehen. »Aber wenn es dir reicht, wie ein Dummkopf zu sprechen, brauchst du es nur zu sagen. Dann wenden wir uns anderen Dingen zu …«
Ich beeilte mich zu versichern, dass ich unbedingt besser sprechen lernen wollte.
Vashet nickte. »Zunächst einmal sagst du zu viel und sprichst zu laut. Das Ademische besteht in seinem Kern aus Stille und Schweigen. Die Sprache spiegelt das. Zweitens musst du viel genauer darauf achten, wann du welche Gebärden verwendest. Sie relativieren bestimmte Worte und Gedanken und verstärken nicht immer, was du sagst. Manchmal stehen sie auch absichtlich im Widerspruch dazu.«
Vashet machte in rascher Folge sieben oder acht verschiedene Gesten. Alle bedeuteten Belustigung, doch jeweils in einer anderen Schattierung. »Außerdem musst du auch die feinen Bedeutungsnuancen kennen, den Unterschied zwischen rank und schlank, wie mein Dichterkönig zu sagen pflegte. Bisher hast du nur ein einziges Lächeln, und damit macht man unweigerlich einen einfältigen Eindruck.«
Wir arbeiteten mehrere Stunden lang, und ich lernte etwas, das Tempi mir nie richtig hatte erklären können. Aturisch war wie ein großer, flacher Teich. Es bestand aus sehr vielen Wörtern, die alle eine genaue Bedeutung besaßen. Ademisch dagegen ähnelte einem tiefen Brunnen. Es hatte weniger Wörter, dafür besaß jedes Wort mehrere Bedeutungen. Ein gut formulierter Satz auf Aturisch ist wie eine gerade Linie, die in eine bestimmte Richtung zeigte. Ein entsprechender Satz im Ademischen ist wie ein Spinnennetz: jeder Faden hat eine eigene Bedeutung und ist Teil eines größeren, komplexen Ganzen.
Viel besser gestimmt als zuvor kehrte ich zum Abendessen in den Speisesaal zurück. Die Striemen auf Rücken und Wange brannten zwar noch, aber ich spürte mit meinen Fingern, dass die Schwellung auf der Wange bereits deutlich abgeklungen war. Ich saß immer noch für mich allein am Tisch, hielt den Kopf aber nicht mehr gesenkt wie noch beim Mittagessen. Stattdessen beobachtete ich die Hände der anderen und versuchte die feinen Bedeutungsunterschiede zwischen
Nach dem Essen kam Vashet mit einem kleinen Tiegel Salbe, mit der sie mir großzügig den Rücken einrieb und dann etwas sparsamer das Gesicht. Ich spürte zuerst ein Kribbeln und Brennen, dann eine taube, dumpfe Wärme. Erst als das Brennen nachließ, merkte ich, wie angespannt ich am ganzen Körper gewesen war.
»So«, sagte Vashet und verschloss den Tiegel wieder mit einem dicken Korken. »Wie fühlte sich das an?«
»Ich könnte dich küssen«, sagte ich dankbar.
»Das könntest du natürlich, aber mit deiner dicken Lippe würde das nichts werden. Zeig mir lieber deinen Ketan.«
Ich hatte an diesem Tag noch keine Dehnübungen gemacht, wollte mich aber nicht drücken. Also nahm ich die Stellung der Offenen Hände ein und arbeitete mich langsam weiter.
Wie bereits erwähnt, unterbrach Tempi mich gewöhnlich, sobald ich den kleinsten Fehler machte. Als ich deshalb ohne Unterbrechung bei der zwölften Stellung angelangt war, war ich sehr stolz. Doch dann passierte mir beim Pflaumenpflücken ein schwerer Stellungsfehler. Als Vashet immer noch nichts sagte, begriff ich, dass sie mir nur zusah und sich ihr Urteil bis zum Ende aufhob. Ich begann zu schwitzen und machte verbissen zehn Minuten bis zum Ende des Ketan weiter.