Sie ging wieder um mich herum, trat hinter mich und schlug zweimal zu, einmal auf jeden Arm knapp unterhalb der Schulter. Zuerst fühlte es sich an, als hätte sie mich nur vorsichtig berührt, doch dann breiteten sich Schmerzen in meinen Armen aus wie Feuer.
Bevor ich reagieren konnte, schlug sie mich so heftig auf den Rücken, dass ich es sogar in den Zähnen spürte. Die Gerte brach nur deshalb nicht, weil es sich um den elastischen grünen Zweig einer Weide handelte.
Ich schrie nicht, aber nur, weil sie mich zwischen zwei Atemzügen erwischt hatte. Doch holte ich vor Schreck so schnell Luft, dass ich mich verschluckte und husten musste. Mein Rücken tat so höllisch weh, als hätte ihn jemand angezündet.
Vashet trat wieder vor mich und musterte mich mit demselben ernsthaften Blick. »Das ist deine Lektion«, sagte sie völlig ungerührt. »Ich habe keine gute Meinung von dir. Du bist ein Barbar. Du bist nicht klug, und du bist hier nicht willkommen. Du gehörst nicht hierher. Du bist ein Dieb unserer Geheimnisse. Deine Anwesenheit ist eine Zumutung, die diese Schule nicht braucht.«
Sie betrachtete die Spitze der Gerte und wandte sich mir erneut zu. »Eine Stunde nach dem Mittagessen treffen wir uns wieder hier. Du bringst mir einen anderen Stock, und ich lehre dich dieselbe Lektion noch einmal.« Sie sah mich vielsagend an. »Wenn der Stock mir nicht gefällt, wähle ich selbst einen aus. Dasselbe tun wir nach dem Abendessen. Und morgen. Es ist die einzige Lektion, die ich dich lehren werde. Wenn du sie gelernt hast, wirst du Haert verlassen und nie wieder zurückkehren.« Sie sah mich unbewegt an. »Hast du das verstanden?«
»Was wird …« Blitzschnell schoss ihre Hand vor, und die Spitze der Gerte traf meine Wange. Diesmal hatte ich Luft und schrie erschrocken auf.
Vashet sah mich an. Ich hatte bis dahin nicht gewusst, dass etwas so Einfaches wie Blickkontakt so furchterregend sein konnte. Ihre hellgrauen Augen waren so hart wie Eis. »Sprich mir nach: ›Ja, Vashet, ich habe es verstanden.‹«
Ich sah sie wütend an. »Ja, Vashet, ich habe es verstanden.« Die rechte Seite meiner Oberlippe fühlte sich beim Sprechen unförmig dick und geschwollen an.
Sie betrachtete mich forschend, als wollte sie zu einer Entscheidung kommen, dann zuckte sie mit den Schultern und warf die Gerte weg.
Erst jetzt wagte ich, wieder zu sprechen. »Was passiert mit Tempi, falls ich gehe?«
»Und was …« Ich verstummte und setzte noch einmal neu an. »Was würde in diesem Fall mit ihm passieren?«
Vashet wandte sich schulterzuckend ab. »Das entscheide nicht ich«, sagte sie und ging.
Ich berührte meine Wange und Lippe und sah dann meine Hand an. Kein Blut, aber ich spürte die rote Schwellung auf der Haut. Sie war für jedermann so deutlich zu sehen wie ein Brandzeichen.
Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, kehrte ich zum Mittagessen in die Schule zurück. Im Speisesaal sah ich mich unter den vielen rotgekleideten Söldnern nach Tempi um, fand ihn aber nicht. Ich war darüber froh. Natürlich hätte mir die Gesellschaft eines Freundes gut getan, andererseits wäre es mir unerträglich gewesen, wenn er mich so zugerichtet gesehen hätte. Ich hätte ihm nicht einmal erzählen müssen, was geschehen war. Das Mal auf meiner Wange verriet es allen Anwesenden.
Ich stellte mich mit unbewegtem Gesicht und gesenktem Blick an und füllte meinen Teller. Dann suchte ich mir ein freies Tischende. Ich wollte niemandem meine Gesellschaft aufdrängen.
Ich war den größten Teil meines Lebens allein gewesen, aber selten habe ich mich so allein gefühlt wie in diesem Moment. Im Umkreis von vierhundert Meilen kannte ich überhaupt nur eine Person, und diese Person musste sich von mir fernhalten. Ich kannte die Sitten und Gebräuche des Landes nicht und kaum die Sprache, und das Brennen auf meinem Rücken und in meinem Gesicht erinnerte mich ständig daran, dass ich nicht willkommen war.
Das Essen schmeckte mir trotzdem. Es gab gebratenes Hähnchen, frische Langbohnen und einen aus einem süßen Sirup hergestellten Pudding, besseres Essen, als ich mir an der Universität gewöhnlich leisten konnte, und schärfer gewürzt als das Essen am Hof des Maer. Zwar hatte ich keinen großen Appetit, aber ich hatte in meinem Leben schon zu oft Hunger gelitten, als dass ich eine kostenlose Mahlzeit einfach so verschmäht hätte.
Am Rand meines Blickfelds bewegte sich ein Schatten. Jemand hatte sich mir gegenüber an den Tisch gesetzt. Sofort hob sich meine Stimmung ein wenig. Wenigstens einer hatte den Mut, dem Barbaren Gesellschaft zu leisten. Jemand wollte mich trösten oder sich wenigstens aus Neugier mit mir unterhalten.
Ich hob den Kopf und blickte in das hagere Narbengesicht Carcerets. Sie stellte ihren Teller auf dem Tisch ab.