Da ich wusste, dass es unhöflich gewesen wäre, Tempi zu rufen, trat ich näher. Doch noch bevor ich mich den Adem soweit genähert hatte, dass ich etwas verstehen konnte, streckte einer der fremden Söldner die Hand aus, drückte mir die gespreizten Finger an die Brust und schob mich weg. Ohne nachzudenken führte ich den Löwengriff aus, indem ich seine Hand am Daumen von mir wegbog. Mein Gegner machte sich ohne ersichtliche Mühe von mir los, um mich mit dem Fallenden Stein aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich vollführte daraufhin den Rückwärtstanz und konnte diesmal das Gleichgewicht halten, aber mein Gegner schlug mich mit seiner anderen Hand an die Schläfe. Es tat nicht einmal weh, doch musste ich einen Moment benommen innehalten.
Ich war in meinem Stolz gekränkt. So ähnlich fühlte ich mich, wenn Tempi mir stumm einen vorwurfsvollen Klaps gab, weil ich den Ketan schlampig ausführte.
»Schnell«, sagte der Söldner leise auf Aturisch. Erst jetzt hörte ich an der Stimme, dass ich es mit einer Frau zu tun hatte. Nicht dass sie besonders männlich gewesen hätte, sie sah nur so ähnlich aus wie Tempi. Sie hatte die gleichen rotblonden Haare und hellgrauen Augen und das gleiche unbewegte Gesicht und trug die gleichen blutroten Kleider. Davon abgesehen war sie eine Handbreit größer als er und hatte breitere Schultern. Zwar war sie gertenschlank, doch die straffen Kurven ihrer Hüften und Brüste zeichneten sich unter den engen Kleidern deutlich ab.
Ich betrachtete nun auch die anderen Söldner genauer. Drei der vier waren Frauen. Die Breitschultrige, die sich mir zugewandt hatte, hatte eine dünne Narbe, die quer durch eine Augenbraue schnitt, und eine weitere am Kinn. Die Narben waren ähnlich silbrig hell wie die auf Tempis Brust und Armen. Sie wirkten recht harmlos, verliehen ihrer Trägerin aber trotz ihrer unbewegten Miene ein seltsam grimmiges Gesicht.
»Schnell«, hatte sie gesagt. Das klang zunächst wie ein Kompliment, doch bin ich in meinem Leben schon so oft verspottet worden, dass ich Spott in jeder Sprache sofort erkenne.
Schlimmer noch, sie schob sich die rechte Hand mit der Innenseite nach außen ins Kreuz. Sogar ich mit meiner rudimentären Kenntnis der Gebärdensprache der Adem wusste, was das bedeutete. Die Hand war damit so weit wie möglich vom Schwertgriff entfernt. Zugleich kehrte die Frau mir die Schulter zu und sah weg. Damit gab sie mir nicht nur zu verstehen, dass ich keine Bedrohung für sie darstellte, sondern beleidigte mich mit ihrer Geringschätzung.
Ich beherrschte mich mühsam, denn mit jedem weiteren Gefühlsausdruck hätte ich wahrscheinlich nur einen noch schlechteren Eindruck gemacht.
Tempi zeigte in die Richtung, aus der ich gekommen war. »Geh«, sagte er.
Widerstrebend gehorchte ich, denn ich wollte keine Szene machen.
Die Adem standen noch eine Viertelstunde lang beisammen, während ich meine Übungen fortsetzte. Zwar hörte ich sie nicht, sah aber, dass sie stritten. Ihre Handbewegungen waren heftig und wütend, die Beine hatten sie angriffslustig gespreizt.
Schließlich kehrten die vier fremden Adem zur Straße zurück, und Tempi kam zu mir. Ich mühte mich an einer Weizendrescher genannten Übung ab.
»Zu weit auseinander.«
Ich veränderte die Fußstellung und wiederholte die Übung. »Was waren das für Leute, Tempi?«
»Adem«, antwortete er kurz und setzte sich wieder an den Fuß des Baumes.
»Kanntest du sie?«
»Ja.« Tempi holte meine Laute aus dem Kasten. Sobald seine Hände beschäftigt waren, war er doppelt stumm. Ich kehrte zu meinen Übungen zurück. Ich wusste, von ihm jetzt Antworten zu fordern wäre wie Zähneziehen gewesen.
Zwei Stunden vergingen und die Sonne schickte sich an, hinter den Bäumen im Westen unterzugehen.
»Morgen verlasse ich euch«, sagte Tempi unvermittelt. Da er noch die Laute in den Händen hielt, konnte ich seine Stimmung nur erraten.
»Wohin willst du?«
»Nach Haert. Zu Shehyn.«
»Sind das Orte?«
»Haert ja. Shehyn unterrichtet mich.«
Ich hatte in der Zwischenzeit überlegt, was ihn wohl beschäftigen mochte. »Hast du Ärger, weil du mich unterrichtest?«
Tempi legte die Laute in den Kasten und drückte den Deckel zu. »Vielleicht.«
»Ist es verboten?«
»Strengstens verboten.«
Er stand auf und begann mit den Übungen des Ketan. Ich tat es ihm nach und wir schwiegen beide eine Weile.
»Wie groß ist der Ärger?«, fragte ich schließlich.
»Sehr groß.« Ich hörte aus seiner Stimme ganz ungewohnte Gefühle heraus: Sorge und Angst. »Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen.«
Wir bewegten uns so langsam wie die untergehende Sonne.