Wir steckten gerade mitten in einem solchen langen Schweigen, als wir schließlich in Imre eintrafen. Ich brachte Denna zum KEILER, wo sie sich ein Zimmer nahm. Ich half ihr, das Gepäck hinaufzutragen, doch das Schweigen wurde immer tiefer. Und so verabschiedete ich mich herzlich, aber auch hastig von ihr und eilte von dannen, ohne auch nur ihre Hand geküsst zu haben.
In dieser Nacht fielen mir tausenderlei Dinge ein, die ich ihr hätte sagen können. Ich lag da, starrte an die Zimmerdecke und konnte bis spätnachts nicht einschlafen.
Am nächsten Morgen wachte ich früh auf und war besorgt und beklommen. Ich frühstückte mit Simmon und Fela und ging dann in mein Seminar über Fortgeschrittene Sympathie, wo mich Fenton mühelos dreimal hintereinander im Duell besiegte, was ihm zum ersten Mal seit meiner Rückkehr an die Universität den Sieg eintrug.
Da weiter nichts auf meinem Stundenplan stand, badete ich anschließend und überlegte dann minutenlang, was ich anziehen sollte, bis ich mich schließlich für ein schlichtes Hemd und eine grüne Weste entschied, von der Fela meinte, dass sie meine Augen gut zur Geltung brachte. Ich machte aus meinem Shaed einen kurzen Umhang und entschied mich dann dagegen, ihn überhaupt zu tragen. Ich wollte Dennas Gedanken, wenn ich sie besuchte, nicht durch irgendetwas auf Felurian lenken.
Zu guter Letzt steckte ich mir Dennas Ring in eine Tasche meiner Weste und ging dann auf die andere Seite des Flusses, nach Imre.
Als ich beim KEILER angelangt war, kam Denna, ehe ich auch nur nach der Türklinke gegriffen hatte, aus dem Haus spaziert und drückte mir einen Picknickkorb in die Hand.
Ich war verblüfft. »Woher wusstest du …?«
Sie trug ein hellblaues Kleid, das ihr fabelhaft stand, lächelte liebreizend und hängte sich bei mir ein. »Weibliche Intuition.«
»Ach so«, sagte ich, bemüht, locker zu sein. Ihre Nähe war beinahe schmerzhaft. Die Wärme ihrer Hand auf meinem Arm, ihr Duft nach grünem Laub und der Luft kurz vor einem Sommergewitter. »Weißt du denn auch schon, wohin wir gehen?«
»Ich weiß nur, dass du mich dorthin führen wirst.« Als sie das sagte, wandte sie mir ihr Gesicht zu, und ich spürte ihren Atem seitlich am Hals. »Ich vertraue mich dir gerne an.«
Ich sah sie an und wollte einen der cleveren Sprüche bringen, die ich mir in der Nacht zurechtgelegt hatte. Doch als ich in ihre Augen sah, war ich einfach sprachlos. Ich war vollkommen hin und weg, ich weiß nicht, wie lange. Einen ganzen Moment lang gehörte ich ihr mit Haut und Haar …
Dann lachte Denna und riss mich damit aus dieser Träumerei, die einen Moment oder eine Minute gewährt haben mochte. Wir gingen aus der Stadt hinaus und plauderten dabei so unbeschwert, als wäre zwischen uns nie etwas anderes gewesen als Sonnenschein und Frühlingsluft.
Ich führte sie zu einem Ort, den ich einige Zeit zuvor entdeckt hatte: ein kleines, von Bäumen gesäumtes Tal. Ein Bach schlängelte sich an einem Graustein vorbei, der längs auf dem Boden lag; die Sonne schien auf eine Gänseblümchenwiese ringsumher, und die Blumen reckten ihre Köpfchen dem Licht entgegen.
Denna verschlug es kurz den Atem, als dieses Tal in Sicht kam und sich die Wiese wie ein Teppich vor uns ausbreitete. »Ich wollte diesen Blumen schon lange mal zeigen, wie hübsch du bist«, sagte ich.
Dafür erntete ich eine begeisterte Umarmung und einen Kuss, der mir auf der Wange brannte. Beides war vorüber, ehe ich wusste, wie mir geschah. Verwirrt und lächelnd führte ich sie zwischen den Blumen hindurch zu dem Graustein am Bach.
Ich zog mir Schuhe und Strümpfe aus. Denna schnippte sich ebenfalls die Schuhe von den Füßen und band sich die Röcke hoch, und dann lief sie mitten in den Bach hinein, bis ihr das Wasser übers Knie ging.
»Kennst du das Geheimnis der Steine?«, fragte sie und griff in die Fluten. Dabei wurde der Saum ihres Kleides nass, aber das schien sie nicht zu kümmern.
»Was ist denn das für ein Geheimnis?«
Sie holte einen glatten, dunklen Stein vom Bachbett empor und hielt ihn mir hin. »Komm her und schau’s dir an.«
Ich hatte mir die Hosenbeine hochgekrempelt und ging nun ebenfalls ins Wasser. Sie hielt mir den tropfenden Stein entgegen. »Wenn du ihn in der Hand hältst und genau hinhörst …« Sie tat es und schloss die Augen. So stand sie einen ganzen Moment lang reglos da, das Gesicht aufwärts gewandt, wie eine Blume.
Ich war verlockt, sie zu küssen, hielt mich aber zurück.
Schließlich schlug Denna die dunklen Augen wieder auf und lächelte mich an. »Wenn du ganz genau hinhörst, erzählt dir der Stein eine Geschichte.«
»Und was für eine Geschichte hat er dir gerade erzählt?«, fragte ich.