Danach streifte ich ziellos durch die Gegend und gelangte schließlich in einen kleinen öffentlichen Park auf der Bastion mit Blick über die Unterstadt. Die Laternen drunten leuchteten orangefarben, und hier und da flackerte eine Gas- oder Sympathielampe grünlich blau oder tiefrot. Der Anblick war so atemberaubend wie beim ersten Mal.
Ich gab mich ihm eine Weile hin, bis ich bemerkte, dass ich nicht allein war. Ein älterer Mann lehnte einige Schritte entfernt an einem Baum und betrachtete wie ich das Lichtermeer unter uns. Er roch ganz schwach und nicht unangenehm nach Bier.
»Eine schöne Stadt, nicht wahr?«, fragte er mit dem Akzent eines Hafenarbeiters.
Ich nickte. Stumm betrachteten wir die funkelnden Lichter. Ich zog den hölzernen Ring vom Finger und überlegte, ob ich ihn über den Rand des Felsens werfen sollte. Doch jetzt, wo ich einen Zuschauer hatte, kam es mir irgendwie kindisch vor.
»Es heißt, ein Adliger könnte von hier oben auf halb Severen pinkeln«, sagte der Hafenarbeiter im Plauderton.
Ich steckte den Ring in eine Tasche meines Schattenmantels. Als Andenken und Mahnung. »Nur die Versager«, antwortete ich. »Die, die ich kenne, pissen noch viel weiter.«
Kapitel 141
Heimreise
Auf der Heimreise zur Universität war mir das Schicksal gnädig. Der Wind stand günstig und zu meiner Freude ereigneten sich keinerlei Zwischenfälle. Die Matrosen hatten von meiner Begegnung mit Felurian gehört, was mir für die Dauer der Reise einen gewissen Ruhm verschaffte. Ich spielte ihnen ein Lied vor, das ich darüber geschrieben hatte, und erzählte die zugehörige Geschichte, allerdings lange nicht so oft, wie sie sie hören wollten.
Auch von meiner Reise zu den Adem erzählte ich. Zuerst glaubten sie mir kein Wort, doch dann zeigte ich ihnen das Schwert und besiegte die besten von ihnen drei Mal im Ringkampf. Danach begegneten sie mir mit einem anderen Respekt und einer rauheren, ehrlicheren Art von Freundschaft.
Umgekehrt erfuhr auch ich von ihnen eine Menge. Sie erzählten Geschichten über die Seefahrt, nannten mir die Namen der Sterne und sprachen über Wind, Wasser und Weiber, Verzeihung, Frauen. Sie wollten mir auch Seemannsknoten beibringen, doch stellte ich mich dabei nicht sonderlich geschickt an. Das Auflösen der Knoten ging mir wesentlich schneller von der Hand.
Insgesamt verlief die Überfahrt sehr angenehm. Ich genoss das freundschaftliche Verhältnis zu den Matrosen, das Singen des Windes in der Takelage und den Geruch nach Schweiß, Salz und Teer. Nach und nach verging darüber auch die Bitterkeit, die die schlechte Behandlung durch den Maer Alveron und seine ihn liebende Gattin mir verursacht hatte.
Kapitel 142
Wieder zu Hause
Schließlich legten wir in Tarbean an, wo mir die Seeleute zu einer preiswerten Koje auf einem Segelschiff verhalfen, das flussaufwärts nach Anilin fuhr. Zwei Tage später ging ich in Imre an Land und von dort im ersten Licht der Morgendämmerung hinüber zur Universität.
So etwas wie eine Heimat hatte ich nie gehabt. Als Kind war ich auf den nimmer endenden Reisen meiner Truppe aufgewachsen. Mein Zuhause war kein bestimmter Ort gewesen, sondern bestimmte Leute und bestimmte Wagen. Später dann in Tarbean besaß ich einen geheimen Unterschlupf, eine Stelle, an der drei Dächer zusammentrafen, die mir Schutz vor dem Regen boten. Dort schlief ich und bewahrte einige Dinge auf, die mir am Herzen lagen, aber ein Zuhause war das nicht gewesen.
Aus diesem Grund hatte ich auch nie das Gefühl der Heimkehr nach einer langen Reise erlebt. Ich empfand es an diesem Tag zum ersten Mal, als ich den Omethi überquerte und sich die Steine der Brücke vertraut unter meinen Füßen anfühlten. An der höchsten Stelle des Brückenbogens angelangt, sah ich die grauen Umrisse der Universitätsbibliothek hinter den Bäumen aufragen.
Es war tröstlich, die Straßen der Universität unter den Füßen zu spüren. Ich war ein Dreivierteljahr lang fort gewesen. In mancher Hinsicht erschien es mir sogar noch viel länger, doch zugleich war mir alles so vertraut, dass es mir vorkam, als wäre ich nur einen einzigen Tag verreist gewesen.
Es war noch sehr früh, als ich zum ANKER’S kam, und die Eingangstür war verschlossen. Ich überlegte kurz, ob ich zu meinem Fenster hinaufsteigen sollte, ließ es dann aber bleiben, da ich mit Lautenkasten und Reisesack beladen war und auch noch Caesura trug.
Stattdessen ging ich ins Mews und klopfte an Simmons Tür. Mir war klar, dass ich ihn zu so früher Stunde damit weckte, aber ich sehnte mich einfach nach einem vertrauten Gesicht. Ich wartete ein wenig, und als ich nichts hörte, klopfte ich noch einmal lauter und setzte mein schönstes lässiges Lächeln auf.
Sim öffnete die Tür, mit wirrem Haar und rot geränderten Augen. Er guckte mich verschlafen an, und einen Moment lang blieb sein Gesicht ausdruckslos. Dann stürzte er sich mir in die Arme.
»Beim geschwärzten Leib Gottes«, sagte er und griff damit zu dem stärksten Kraftausdruck, den ich ihn je hatte gebrauchen hören. »Kvothe. Du lebst.«