Felurian schrie erschrocken auf und setzte sich so abrupt hin, dass sie fast zu stürzen schien. Sie zog die Knie an die Brust und sah mit großen, ängstlichen Augen zu mir auf.
Ich blickte mich um und sah den Wind. Nicht wie man etwa Rauch oder Nebel sieht, nein, ich sah den unaufhörlich sich wandelnden Wind selbst. Er war mir vertraut wie das Gesicht eines vergessenen Freundes. Ich lachte und breitete die Arme aus, voller Staunen über seine sich verändernde Gestalt.
Ich legte die hohlen Hände aneinander, atmete einen Seufzer hinein und sprach einen Namen. Dann zog ich meinen Atem spinnwebfein auseinander. Er blähte sich auf, hüllte Felurian ein und züngelte in einer silbernen Flamme auf, die Felurian fest in seinem sich wandelnden Namen einsperrte.
Ich hielt sie über dem Boden. Sie betrachtete mich mit ängstlicher und ungläubiger Miene, und ihr schwarzes Haar tanzte wie eine zweite Flamme innerhalb der ersten.
Da wusste ich, das ich sie töten konnte. Es wäre so einfach gewesen wie ein Blatt Papier in den Wind zu werfen. Doch der bloße Gedanke verursachte mir Übelkeit. Es wäre gewesen, als hätte ich einem Schmetterling die Flügel ausgerissen. Ich hätte etwas Fremdartiges und zugleich Wunderbares zerstört. Ohne Felurian wäre die Welt ärmer gewesen, hätte sie mir weniger gefallen. Als hätte ich Illiens Laute zerstört, als hätte ich nicht nur ein Leben beendet, sondern eine ganze Bibliothek niedergebrannt.
Andererseits standen meine Sicherheit und mein Verstand auf dem Spiel. Ich glaubte, dass die Welt mit Kvothe auch interessanter war.
Doch ich konnte Felurian nicht töten. Nicht so. Nicht indem ich meine neu gefundene Zauberkraft einsetzte wie ein Seziermesser.
Ich sprach wieder, und der Wind drückte Felurian auf die Kissen nieder. Ich machte eine Bewegung, als zerreiße ich etwas, und die silberne Flamme, die mein Atem gewesen war, wurde zu drei Tönen einer Melodie und verklang unter den Bäumen.
Ich setzte mich, Felurian lehnte sich zurück, und wir blickten einander lange an. Die Angst in ihren Augen wurde zu Vorsicht und zuletzt Neugier. Ich sah mich im Spiegel ihrer Augen nackt zwischen den Kissen sitzen. Meine Macht leuchtete wie ein weißer Stern auf meiner Stirn.
Dann spürte ich, wie etwas verging, wie Vergessen einsetzte. Der Name des Windes erfüllte nicht länger meinen Mund, und als ich mich umblickte, sah ich nur Leere. Ich versuchte äußerlich ruhig zu bleiben, aber mir war zumute wie einer Laute, deren Saiten durchtrennt wurden. In mir krampfte sich alles zusammen angesichts eines Verlusts, wie ich ihn seit dem Tod meiner Eltern nicht mehr empfunden hatte.
Die Luft um Felurian begann zu schimmern, als ein kleiner Rest ihrer Macht zurückkehrte. Ich achtete nicht darauf und versuchte zugleich verzweifelt, mich wenigstens an einen Teil dessen zu erinnern, das ich erfahren hatte. Genauso gut hätte ich eine Hand voll Sand festhalten können. Wer je geträumt hat, er könne fliegen, und beim Aufwachen enttäuscht feststellen musste, dass er nicht mehr wusste, wie es ging, der mag eine Vorstellung davon haben, wie mir zumute war.
Nach und nach verging alles, bis nichts mehr übrig war. Ich fühlte mich innerlich leer, und mir war so weh ums Herz, als hätte ich eben entdeckt, dass meine Eltern mich nie geliebt hätten. Ich spürte einen Kloß im Hals und schluckte.
Felurian musterte mich neugierig. Ich sah immer noch mein Spiegelbild in ihren Augen, doch der Stern auf meiner Stirn war zu einem kleinen Fünkchen geschrumpft. Schließlich begann auch der durchdringende Blick meines schlummernden Bewusstseins nachzulassen. Verzweifelt sah ich mich um und versuchte mir alles einzuprägen.
Dann war alles verschwunden. Voller Kummer, und um meine Tränen zu verbergen, senkte ich den Kopf.
Kapitel 98
Felurians Lied
Es verging ein endloser Moment, bis ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte und den Kopf hob. Ein Zögern lag in der Luft, als seien wir ein junges Liebespaar und wüssten nicht, was als Nächstes von uns erwartet wurde und welche Rollen wir spielen sollten.
Ich griff nach meiner Laute und drückte sie an die Brust, wie man sich eine verwundete Hand hält, eine instinktive Bewegung. Gewohnheitsmäßig schlug ich einen Akkord an, dann denselben Akkord in Moll, als wollte die Laute sagen, sie sei traurig.
Ohne nachzudenken oder aufzublicken begann ich ein Lied zu spielen, das ich in den Monaten nach dem Tod meiner Eltern geschrieben hatte. Es hieß
Danach fühlte ich mich etwas besser, wenn auch noch keineswegs gut. Nicht mehr so leer. Meine Musik half mir immer. Solange ich sie hatte, konnte ich jede Last tragen.