Ich kaufte ein Buch über den Genozid in Višegrad. Ich wollte so lange durch die Stadt streunen, bis mir ein streunender Hund begegnete oder bis mich jemand erkannte, der aus Višegrad hierher geflohen ist. Ich wollte Wellensittichen beim Schnäbeln in einem Fenster zusehen und fragte verstohlen nach Pflaumenmarmelade zu meinen Ćevapčići. Verarsch mich nicht, gab der Kellner zurück, später kam der Regen und anstatt zur Führerscheinstelle zu gehen, betrat ich das kleine Wettcafé mit dem Blick auf die Altstadt.
Mesud, der mit seinem Schnurrbart spielt, mich eindringlich mustert und sagt: Kiko. Kiko von der weichen Drina. Wie du.
Ich wollte einen Kaffee trinken und warten, dass der Regen aufhört. Vier Fernseher an der Wand, in allen lief Teletext, ein Billardtisch in der Mitte des Raumes, Aschenbecher auf den Plastiktischen. Männer in Lederjacke oder Trainingsanzug beugten sich konzentriert über Quotentabellen. Ich bestellte einen türkischen Kaffee. An einem Tisch vor der breiten Glasfront lasen zwei ältere Männer Zeitung, einer trug eine Trainingsjacke mit der Aufschrift »Rot-Weiß-Essen« und der Nummer 11.
So ein Zufall, sagte ich, ich wohne in Essen.
Die Männer senkten die Zeitungen und sahen sich um. Ich stand hinter ihnen, Kaffeetasse in der Hand. Sie schwiegen.
Die Jacke, sagte ich und deutete mit der Tasse auf den Mann mit dem Schnurrbart. Der andere gab Zucker in seinen Kaffee, schlürfte vorsichtig und widmete sich wieder seiner Zeitung.
Deutschland, Regionalliga Nord, Sonntag gegen Düsseldorf, gibt ein Unentschieden, sagte der mit der Jacke. Der Schnurrbart verdeckte seinen Mund, bewegte sich auf und ab, als kaute der Mann.
Ich bin Aleksandar, ist da noch frei?, hörte ich mich sagen, dabei klang die tiefe Stimme unter dem Schnurrbart nicht gerade einladend.
Wir sind die Wise Guys, sagte die Stimme und der Arm zeigte auf den freien Stuhl.
Was heißt das?, fragte ich und setzte mich dazu.
Dass ich Recht habe, wenn ich sage: spiel am Sonntag Unentschieden auf dein Essen gegen Düsseldorf.
Die Wise Guys: Mesud mit Schnurrbart und Sportjacke, die ihm sein Schwiegersohn vor Jahren aus Deutschland mitgebracht hatte, und Kemo, der Diabetiker, der sich den Diabetes nicht einreden lässt. Kemo war der stillere der beiden. Er saß die meiste Zeit in Sportzeitungen vertieft, schrieb Zahlen auf und malte Kreise, Dreiecke, Blitze und wieder Zahlen daneben. Mesud führte zahllose Gespräche mit den kurzhaarigen Männern, die immer wieder an unseren Tisch traten und Dinge sagten wie: Anderlecht under?, Zidane gelbgesperrt, unentschieden?, Deportivo auswärts – Handicap zwei, was meinen Sie, Čika Mesud? Für jeden Spieler hatte der eine Antwort und einen Rat, ich konnte kein System dahinter erkennen.
Wie oft wetten Sie?, fragte ich die Wise Guys.
Nein, nein, hob Mesud abwehrend die Hände, wir wetten nicht, wirst ja nicht glücklich damit. Wir sind da, falls jemand den Statistiken nicht glaubt oder nicht weiterweiß, das ist alles.
Viele wussten nicht weiter und kamen früher oder später auf einen kleinen Plausch oder mit einer Frage an unseren Tisch. Ein schüchterner Mann mit Anzug und Fliege wollte wissen, wie die Chancen stehen, dass Inter heute gewinnt. Ich war noch nie in Mailand, sagte Mesud, Finger weg von Italien. Kemo hob den Daumen: Inter packt es.
Der Laden wurde voller, die Spieler füllten ihre Scheine gegen die Wand aus. Musik wurde eingeschaltet, eine Frau sang davon, wie es ist, betrogen zu werden, dann sang ein Mann davon, wie es ist, zu betrügen, in beiden Liedern kamen beste Freunde vor. Vor den Spielautomaten bauten sich Lederjacken auf, schlugen auf die Knöpfe, es knallte, knallte, knallte. Der Regen hatte aufgehört, aber mir war nicht nach Gehen, ich wollte, dass man mich für einen Bekannten von Kemo und Mesud hielt. Niemand fragte mich etwas, ich setzte zehn KM auf Essen – Düsseldorf: unentschieden.