Читаем Wie der Soldat das Grammofon repariert полностью

»16:14 Donnerstag, 9. April 1992.« Der Lastwagen fährt vor. Sechs steigen aus. Zwei bleiben da, trinken Cola. Sie tragen Stiefel. Vier spähen durch die Fenster im Erdgeschoss. Sie durchqueren den Hof. Krsmanović und Spahić. Zwei Familien? Mischehe? Untermieter? Das Schloss gibt nach. Zwei durchsuchen das Wohnzimmer. Zwei steigen in den Keller. Sie schießen die Kellertür auf. Sie reißen die Decken herunter. Sie zerlöchern das Stillleben »Die Schlange und der optimistische Brief an eine junge Demokratie« und »Das Porträt von B. als Virtuosin zärtlicher Geigen«. Sie stoßen die alte Matratze zur Seite. Sie machen sich die Mühe und zerbrechen jeden einzelnen Pinsel. Sie bemalen sich mit Acrylfarben gegenseitig die Gesichter. Sie tragen Turnschuhe. Sie treten durch die Leinwände. Einer setzt sich die Baskenmütze auf.

Ich rufe Oma an. Ich wecke sie. Sie klingt besorgt, warum rufst du so spät an?

Oma, steht noch das grüne Haus mit dem merkwürdigen Dach? Wird die Turnhalle noch benutzt, was wird gespielt, welche Liga sind wir?

Aleksandar …?

Oma, es ist wichtig. Ich habe von dem Haus in der Pionirska-Straße in der Zeitung gelesen. Ist es vollständig niedergebrannt? Was ist mit Čika Aziz? Haben die Soldaten ihn jemals gefunden? Leben Čika Hasan und Čika Sead noch?

Ich habe Listen gemacht. Oma schweigt.

Wie steht es mit den Brücken? Ist noch mal eine Überschwemmung gekommen, seit wir weg sind?

Du hast, sagt Oma mit ruhiger, verschlafener Stimme, früher immer deine Schritte gezählt. Die ganze Stadt hast du mit deinen Spaziergängen abgemessen.

2349 von dir zu uns nach Hause, sage ich und bin erstaunt, dass ich das nach zehn Jahren noch weiß.

Deine Beine sind länger geworden, sagt Oma, komm her und lauf die Wege wieder.

Die beiden Moscheen habe ich mir aufgeschrieben, obwohl ich weiß, dass sie abgerissen wurden. Freunde, seitenweise Namen, seitenweise Spitznamen, Listen über Listen, Wetten auf die Erinnerung. Ich habe Listen gemacht, und jetzt muss ich alles sehen.

Du musst mir das Paket nicht schicken, sage ich zu Oma, ich hol das Zeug selbst ab. Ich buche den Flug noch heute Nacht.

Du solltest die Pflaumenblüte abwarten und mit dem Bus kommen. Omas Stimme hat nichts von der überdrehten Leichtigkeit früherer Telefonate. Stell dich nicht auf Urlaub ein, Aleksandar. Wir warten.

Wer?

Du bist spät, und es muss sauber gemacht werden. Du bist nie hier, um mir zu helfen, und bald ist Frühling.

Oma?

Ich freue mich, Aleksandar, ich brate dir Hackfleisch und mache die Milch warm, ich freue mich, ja.

»3:13 Dienstag, 12. Februar 2002.« Ich habe nicht vor, zu schlafen.

»sniperallee barrikaden wasserkanister«,

»harry hitler potter milošević gotovina delić«,

»es gibt kein absolutes böse und kein absolutes erinnern«,

»ALEKSANDAR KRSMANOVIĆ WO WARST DU?«,

»billigflüge sarajevo«.

Ich wähle 0038733 für Sarajevo und füge dahinter wahllos Ziffern an. Ich frage nach Asija. Es gibt nirgends eine Asija, meistens gibt es nicht einmal einen Anschluss. Mehrmals verschlafene, dann verärgerte Stimmen. Ein Anrufbeantworter. Hallo? Ich bin es, Aleksandar. Ich komme. Bist du da? Asija?

»10:09 Samstag, 11. April 1992«, gleich blitzt es. Am fünften Tag der Belagerung schlagen Granaten in den Bergen ein, gleiten nur gelegentlich in die Stadt ab. Im Hof vor dem Hochhaus drängen sich Kühe und Schafe, Hufe auf dem Beton zwischen Fiats und Yugos.

In der Nacht sind Flüchtlinge in den Keller und das Treppenhaus eingezogen. Alte und Mütter und Babys, wie heiße Brote in Tuch gewickelt. Sie suchen Schutz im großen Gebäude, weil in ihren Dörfern keine Gebäude mehr für Schutz übrig sind – keine großen, keine kleinen, keine ganzen. Nur halbe Wände, Ruß und Keller, und wie sieht ein Keller ohne Haus aus? Ich male, das Papier auf den Knien, ein Glas ohne Sprung.

Sie bleiben! Je mehr, desto geselliger!, beschließt Walross, und seine Stimme hallt durch das Treppenhaus. Er ist so etwas wie der Bürgermeister vom Hochhaus geworden unter Präsident Aziz, der eine Waffe besitzt, wie es sich für einen Präsidenten gehört. Walross gewinnt beim Uno gegen die Bauern, ich lerne seine Regeln beim Zuschauen.

Unsere Pferde hat man uns genommen. Unsere Söhne hätte man uns auch genommen, wenn die nicht vorher in die Waffen gegangen wären, seufzen die Bauern wegen ihrer Pferde, senken wegen ihrer Söhne den Blick, klagen um ihre Mädchen.

Die werden in unseren Dörfern nicht Halt machen, sagt ein Mann mit gezwirbeltem Schnurrbart, ich frage nach seinem Namen, schreibe »Ibrahim« auf einen Becher und schenke ihm Wasser ein. Die zahnlosen Frauen kauen das Brot mit offenem Mund. Sie riechen säuerlich und legen sich im Flur schlafen. Man muss über sie steigen, sie wachen auf und schimpfen kraftlos. Ich nenne sie nicht Flüchtlinge, ich sage: Schutzlinge. Sie haben ein Mädchen mit so hellem Haar beschützt, dass ich meinen Vater fragen muss, ob es für so ein Hell einen Farbnamen gibt.

Er sagt: Schön.

Ich sage: Schön ist keine Farbbezeichnung.

Перейти на страницу:
Нет соединения с сервером, попробуйте зайти чуть позже