Читаем Wie der Soldat das Grammofon repariert полностью

»7:23 Montag, 6. April 1992.« Gleich blitzt es, und ein fast vergessenes Gefühl wird zum Blick auf staubverklebte Spinnweben an den Kellerwänden in Erwartung des nächsten Einschlags. Ich mache eine Liste von Gegenständen im Keller meiner Großmutter, an die ich mich erinnere. Ausgediente Bügelbretter, kopflose Puppen, Kleidersäcke mit Hemden, die nach altem Kürbis riechen, Kohlen und Kartoffeln und Zwiebeln, Motten und Katzenpisse. Unter Detonationen flackernde Glühbirnen. Gänsehaut um Gänsehaut. Nicht, weil die Angst so groß ist, sondern weil die Wahrscheinlichkeit, dass man im Frieden einschläft und im Krieg aufwacht, so klein ist.

Heute fällt die Schule aus. Im Wohnzimmer sitzt meine Mutter und näht sich Geldscheine in ihren Rock.

All das, was vor dem Aufwachen unvorstellbar war, wird Vater mit seinen Worten und seiner Nervosität einläuten. All das, was vor dem Unvorstellbaren gut war, rückt mit Vaters Unsicherheit und den ersten Granaten in die Ferne. Einen Frosch anzünden wollen ist weiter weg als Japan; Träume von Jasnas ausgebeultem Hemd so unpassend, dass ich mich für sie schäme; die Pflaumenernten ausgefeiert, die Geheimzeichen, wie sich Edin gegen die unsichtbaren Verteidiger freilaufen soll, unnütz. Was geschehen wird, ist so unwahrscheinlich, dass keine Unwahrscheinlichkeit übrig bleibt, um eine erfundene Geschichte zu erzählen.

Ich mache eine Liste von Dingen, für die ich nie bestraft wurde. Die Tafel anzünden. Frösche, Tauben und Katzen in Čika Veselins Wohnung einquartieren, nachdem er Onkel Bora eine Dampfwalze genannt hat. Durch das Fenster spähen, als Zorans Tante Desa die müden Männer vom Staudamm besuchte. Schneebälle auf Windschutzscheiben werfen. Präsidenten des Lokalkomitees anrufen und mit verstellter Stimme sagen: hier Tito, Sie sind hohl. Anspitzer und Hefte aus dem Kaufhaus stehlen. Omas Blumenvase zerschlagen.

Warum bist du nicht auf der Arbeit, Papa?

Vater drückt die Stecknadeln an meinem Poster von Roter Stern mit dem Daumen tiefer in die Wand. Du packst den großen Rucksack, sagt er. Sieben Unterhosen. Sieben Paar Socken. Regenjacke. Mütze. Feste Schuhe. Du ziehst die Turnschuhe an. Zwei Hosen. Einen dicken Pullover, zwei-drei Hemden und T-Shirts, nicht zu viele. Die grüne Angel-Weste mit den vielen Taschen. Ein Handtuch, Zahnpasta, Zahnbürste, Seife. Ich habe dir Taschentücher und deinen Pass unten auf den Tisch gelegt … Hast du ein Lieblingsbuch?

Ja.

Das ist gut, nickt Vater, streicht meine Keiner-konnte-ahnen-dass-du-gewinnst-Urkunde glatt und schließt die Tür nicht, als er hinausgeht.

»7:43 Montag, 6. April 1992.« Neben den Taschentüchern wird ein Taschenmesser liegen und ein Notizblock mit Adressen und Nummern von allen unseren Bekannten und Verwandten. Vater wird in seinem Atelier sein. Die Leinwände, die Bilder, die Farben, die Pinsel – er verstaut alles in einer Ecke und verhängt es mit Decken. Ich kauere auf der Treppe und sehe ihm zu. Er schiebt meine alte Matratze vor die Leinwände und setzt dem Ganzen seine Baskenmütze auf. Er schließt die Tür ab. Wir fahren zur Oma, das Hochhaus hat einen großen Keller. Die erste Granate dröhnt im großen Keller eng und poliert. Ich werde denken: eng und poliert. Nicht wie im Film, nicht ernsthaft explodierend, nicht bebend, nicht rieselnd. Etwas Schweres, das nicht genügend Raum hat, um auseinander zu brechen – eng. Und frei vom Rauschen, klar, sauber, metallisch glatt – poliert – wird das Enge in die Kellerwände gespritzt und Emilija Slavica Krsmanović macht in die Stille nach der fünfzigsten Granate ein Bäuerchen.

»0:21 Dienstag, 12. Februar 2002.« Ich mache eine Liste von Omas Nachbarn, die wie wir Schutz im Keller gesucht haben. Ich erweitere sie um die Nachbarn aus unserer Straße, die mir einfallen. Schreibe auf ein nächstes Blatt »Kneipen, Restaurants, Hotels«, darunter: Café Galerie. Restaurant Mündung. Hotel Bikavac. Hotel Višegrad. Hotel Vilina Vlas.

Ich wühle mich durch Suchmaschineneinträge zu:

»fußball im krieg sarajevo training beschuss«,

»višegrad genozid handke scham verantwortung«,

»opfer unschuldig bombardement belgrad«,

»milošević internationales versagen interessen«.

Ich scrolle durch Foren, lese mir Beleidigungen und nostalgische Schwelgereien durch, klicke und klicke und notiere mir fremde Erinnerungen, Montenegriner-Witze, Kochrezepte, Namen der Helden und der Feinde, Augenzeugenberichte, Frontberichte, lateinische Namen der Drina-Fische, lade mir neue bosnische Musik herunter, klicke auf den ersten Link zu: »den haag eigentor europäische union srebrenica«, und lese, der Kriegsverbrecher Radovan Karadžić halte sich in Belgrad auf, worauf mein Computer abstürzt. Ich drücke die Reset-Taste. Mein Gesicht spiegelt sich im schwarzen Bildschirm, und ich weiß mit einem Mal nicht mehr, wonach ich hier, in meiner Wohnung mit Blick auf die Ruhr, Tausende Kilometer von meiner Drina entfernt, suche. Das Hintergrund-Foto von der Brücke in Višegrad erscheint, aber nicht einmal das Foto habe ich selbst geschossen.

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