Der Gesprächspartner Lefuets betrat plötzlich den Waschraum und sah das blaßgewordene, leicht verzerrte Gesicht des Barons. Er mußte annehmen, daß Lefuet wegen des Markennamens „Palmaro“ so verstört war, und Lefuet mußte annehmen, daß der ägyptische Vertreter eben dies annahm. Es war eine verteufelte Lage. Der Baron wagte nicht einmal, das Lachen ins Spiel zu bringen, weil er sich dieses Lachens plötzlich nicht mehr sicher war. Er sagte deshalb, indem er sehr unglaubwürdig eine Übelkeit vortäuschte: „Ich werde morgen alles in Kairo besprechen. Mir ist nicht wohl. Die Hummermayonnaise... “
Dann verließ er den Waschraum und den Alsterpavillon und rannte mit langen Schritten - ein fliegender Heuschreck - zu seinem Hotel. Die Spaziergänger auf dem eleganten Jungfemstieg - dezent gepuderte Damen und gemessen schreitende Herren - bemerkten bei seinem Anblick mit gehobenen Brauen: „So s-türzt man doch nücht über den Jungfems-tieg, wie ungebüldet!“
Lefuet hörte und sah nichts davon. Er spürte, daß ihm das Lachen zu entgleiten drohte, und er ahnte, auf welche Weise. Deshalb wollte er retten, was zu retten war, es festhalten mit Zähnen und Klauen. Deshalb rannte er jetzt über den Neuen Jungfemstieg, sprang beinahe, ohne auf die Menschen und den Verkehr zu achten, stürzte blindlings vorwärts, einem Wahnsinnigen ähnlich, strauchelte mitten auf dem Fahrweg vor dem Hotel, hörte Bremsen quietschen und Leute schreien, fühlte es heiß die Hüften entlangrinnen und schrie, bevor er ohnmächtig wurde: „Timm Thaler!“
Dieser Verkehrsunfall kam ebenso plötzlich wie folgerichtig. Furcht erzeugt Unsicherheit. Unsicherheit verwirrt. Verwirrung erzeugt Unfälle. Es war folgerichtig, daß der Baron vor ein Auto geriet, als er um das Lachen zu fürchten begann. Im übrigen war der Baron körperlich zäher, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mochte. Auch hatte das Auto in letzter Sekunde bremsen können. Lefuet war nicht unter die Räder gekommen. Seine Bewußtlosigkeit war nur eine Folge des Sturzes.
Zwei Detektive, die hinter ihm hergekeucht waren, hoben ihn ins Krankenauto, das schon fünf oder sechs Minuten später an Ort und Stelle war. Die Detektive begleiteten den Baron auch ins Hospital, wo er ziemlich bald aus der Ohnmacht erwachte. Seine ersten Worte waren allen Leuten im Krankenzimmer völlig unverständlich. Er sagte: „Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“ Dann kam der Arzt herein, und Lefuet sagte seinen Detektiven mit müder Stimme, er könne sie jetzt entbehren. „In Hospitälern“, fügte er scherzend hinzu, „ist man durch die Pietät am besten geschützt.“ Er lachte dabei ein wenig, und das kleine Gelächter schien ihm gut zu tun.
Die Detektive verließen das Krankenzimmer, und Lefuet wurde eingehend untersucht. Er hatte einige Prellungen davongetragen und eine leichte Gehirnerschütterung. Man verordnete leichte Kost und Bettruhe für einige Tage. Außerdem wurde ihm geraten, möglichst keine Besuche zu empfangen.
Trotzdem erhielt Lefuet noch am selben Tage merkwürdigen Besuch. Es war ein kleiner mickriger Mann mit Nickelbrille. Er hatte ein zerknittertes Gesicht und einen zerknitterten Anzug. Die Stationsschwester wunderte sich, daß ihr Patient, der ein feiner Herr zu sein schien, mit solchen Leuten verkehrte.
Lefuet stellte dem Mann ein paar Fragen und gab einige Anweisungen.
„Haben Sie den Jungen seit der Geschichte auf dem Rennplatz wiedergesehen?“
„Nein, Herr Baron.“
„Leiser, mein Lieber! Ich bin Mister Brown.“
„Jawohl, Herr... Mister Brown. Ich wollte Ihnen noch sagen, daß ich den Jungen von Zeitungsbildem kenne.“
„Das ist wenigstens etwas. Aber sehen Sie ihn sich trotzdem noch einmal an, wenn’s möglich ist. Aber unauffällig.
Möglicherweise erkennt er Sie wieder. Die Nickelbrille verändert Sie kaum.“
„Jawohl, Herr... Brown.“
„Also nochmals, mein Lieber: Äußerste Zurückhaltung! Er darf nicht merken, daß ihn außer unseren Hausdetektiven noch jemand beschattet. Klar?“
„Jawohl.“
„Eine andere Frage... “
„Bitte sehr, Mister Brown?“
„Es ist eine mehr private Frage: Kennen Sie das Märchen Schwan-Kleb-An?“
„Na und ob! Das mußte ich mir doch ansehen, als ich den Jungen vor zwei Jahren hier in Hamburg beobachtet habe, Herr Ba... rown. Da ist er doch mit diesen Rickerts ins Marionettentheater gegangen. Und das Stück hieß Schwan-Kleb-An.“
„Ah so! Das erklärt einiges.“ Der Baron schloß für einen Moment die Augen. Er sah sich selbst im Taxi sitzen, Timm neben sich, und er hörte den Fahrer sagen: „Das ging aber mal schnell. Fast so schnell wie bei Schwan-Kleb-An.“ Dann sah der Baron Timms Gesicht vor sich. Erst zuckte es, dann wurde es steinern. Vor die Erregung wurde ein Vorhang gezogen. (Lefuet kannte das längst.) Jetzt wußte er, warum der Fahrer Schwan-Kleb-An erwähnt hatte. Und als er sich von dem Mann mit der Nickelbrille das Märchen erzählen ließ, wußte er noch viel mehr.