„Ich habe über diesen Unterschied jetzt schon drei Meinungen kennengelemt“, sagte Timm leicht verwirrt. „In einem Hamburger Theater hieß es, das Lachen unterscheidet Mensch und Tier, und es war damit gemeint, daß nur der Mensch lachen kann; auf den Bildern im Museum war es aber umgekehrt, da lachten die Tiere und niemals ein Mensch; und Sie, Baron, erzählen mir jetzt, daß es überhaupt keinen Unterschied gibt zwischen Mensch und Tier.“
„Nichts auf der Welt ist so einfach, daß man es mit einem Satz erklären könnte“, antwortete Lefuet. „Und was das Lachen für den Menschen bedeutet, das, mein lieber Herr Thaler, weiß überhaupt niemand genau.“
Timm erinnerte sich plötzlich an eine Bemerkung Jonnys und wiederholte sie halb für sich, aber laut genug, daß der Baron sie verstehen konnte: „Lachen ist Freiheit nach innen.“
Die Wirkung dieses Satzes auf Lefuet war merkwürdig: Er stampfte mit dem Fuß auf und rief: „Das hat dir der Steuermann gesagt!“
Timm sah ihn verwundert an, und plötzlich wußte dieser Junge von vierzehn Jahren, dieses halbe Kind, warum der Baron ihm sein Lachen abgekauft hatte und warum sich der düstere karierte Herr vom Rennplatz so sehr von dem jetzigen Baron Lefuet unterschied. Er war ein freierer Mann geworden; und es machte ihn wütend, daß Timm das entdeckt hatte.
Übrigens hatte der Baron sich wie üblich sofort wieder in der Gewalt, und mit glatter Liebenswürdigkeit wechselte er das Thema. Er sagte: „Die Lage auf dem Buttermarkt, Herr Thaler, ist für uns gefährlich geworden. Ich muß mit den leitenden Herren unserer Firma schon morgen Maßnahmen beraten. Solche Beratungen pflegen auf meinem Schloß in Mesopotamien stattzufinden, und ich erwarte, daß Sie mich dorthin begleiten. Was Sie in Athen noch kennenlemen müssen, zeige ich Ihnen später einmal.“
„Wie Sie wünschen“, sagte Timm scheinbar gleichgültig. In Wirklichkeit wünschte er nichts sehnlicher, als diesen geheimnisvollen Ort kennenzulemen, an dem der Baron in seinem Schlupfwinkel saß wie die Spinne im Beobachtungsposten ihres Netzes.
Lefuet aber verließ Athen ungern. Als das Essen aufgetragen wurde, seufzte er: „Für diesmal die letzte Mahlzeit in diesem gesegneten Lande. Guten Appetit! “
DRITTES BUCH.
Selek Bei
Timm saß zum zweitenmal in dem kleinen zweimotorigen Privatflugzeug der Baron-Lefuet-Gesellschaft. Sie waren im Morgengrauen gestartet, und der Junge konnte von seinem Fenster aus Meer und Himmel kaum unterscheiden. Aber plötzlich sah er schräg unter sich hinter einem kleinen dunklen Inselbuckel den Sonnenball. Es war, als sei die Sonne aus dem Meer gehüpft, so schnell war sie mit einem Male da.
„Wir fliegen ostwärts, der Sonne entgegen“, erklärte Lefuet. „In Athen wird man noch eine Weile warten müssen, ehe sie aufgeht. Meine Schloßbedienten beten die Sonne an. Esch Scherns wird sie genannt.“
„Ich dachte, Ihre Bedienten beten den Teufel an“, sagte Timm.
„Gewiß, sie verehren Scheitan als den Herrn der Welt, nicht aber als den Herrn des Himmels.“
Der Junge wollte wieder „aha“ sagen, erinnerte sich aber daran, daß er mit diesem gleichmütigen Wort schon einmal den Unwillen des Barons erregt hatte. Deshalb sagte er gar nichts, sondern sah schweigend hinunter auf das Meer, dessen bleiernes Grau sich ungewöhnlich rasch aufhellte, bis es zu einem gläsernen Grün geworden war.
Timm fürchtete sich nicht in der Luft, aber er freute sich auch nicht über den Flug. Er staunte nicht einmal. Wer nicht lachen kann, der kann auch nicht staunen.
Der Baron erklärte ihm jetzt „die Lage auf dem Buttermarkt“, die Timm herzlich gleichgültig war. Immerhin begriff er, daß die Firma mit mehreren großen Molkerei-Genossenschaften verzankt war und daß eine andere Firma in Norwegen, Schweden, Dänemark, Deutschland und Holland bessere und billigere Butter verkaufte als Lefuet. Aus diesem Grunde flogen sie jetzt zu dem Schloß in Mesopotamien. Dort wollte der Baron „die Sachlage klären“ und „Maßnahmen ergreifen“. Zwei andere Herren waren jetzt ebenfalls im Flugzeug unterwegs zu dem Schloß. Der eine Herr, ein Mister Penny, kam aus London, der andere, Senhor van der Tholen, aus Lissabon.
Als das Flugzeug bereits die kahlen Hochflächen Anatoliens überflog, sprach der Baron immer noch von Buttersorten und Butterpreisen. Dabei redete er von „Verkaufsfront“, „Konsumenten-Etappe“ und „angriffiger Werbekampagne“, als sei er ein General, der eine Schlacht gewinnen müsse.
Um auch irgend etwas dazu zu sagen, bemerkte Timm, als der Baron eine Pause machte: „Bei uns zu Hause gab es immer nur Margarine.“
„Margarine ist kein Geschäft und als Brotaufstrich eine Zumutung“, brummte Lefuet.
„Sie wurde aber nicht nur aufs Brot geschmiert“, berichtigte Timm. „Bei uns wurde damit auch gebacken, gebraten und gesotten.“