»Und wir bekamen Anweisung, uns
nicht darum zu kümmern«, sagte Connie sehr bestimmt. »Kirow war das Ziel. Nicht
Karla. So lautete der Befehl aus der fünften Etage, George, zu der auch Sie
gehörten. >Schluß mit der Sternguckerei, konzentriert euch auf die irdischen
Aufgaben<, sagten Sie.« Connie verzog den Mund, legte den Kopf zurück und
lieferte eine beklemmend realistische Karikatur von Saul Enderby: »>
Aufgabe dieser Dienststelle ist das Sammeln von Erkenntnissen<«, knautschte
sie,
Er holte ihr einen weiteren Drink, und als er zurückkam, sah er, daß ihre Augen vor boshafter Erregung glänzten. Sie zerrte an den Büscheln ihres weißen Haars, wie früher, als sie es noch lang getragen hatte.
»Der springende Punkt ist doch, daß wir die Operation genehmigt haben, Con«, sagte Smiley und versuchte, sie durch seinen sachlichen Ton im Zaum zu halten. »Wir haben die Zweifler überstimmt und Ihnen die Erlaubnis erteilt, mit Kirow bis an die Strafraumgrenze weiterzumachen. Wie ist es danach gelaufen?«
Doch der Alkohol, die Erinnerungen, das wieder heraufbeschworene Jagdfieber hatten sie so in Schwung gebracht, daß auch Smileys militärischster Tonfall sie nicht mehr bremsen konnte. Während des Sprechens beschleunigte sich ihr Atem, bis sie keuchte, wie ein gefährlich überhitzter Dampfkessel. Sie erzählte Otto Leipzigs Geschichte, wie Leipzig sie Wladimir erzählt hatte. Smiley hatte geglaubt, noch mit ihr zusammen im Circus zu sein, in jener Zeit, als die Ermittlungen gegen Kirow gerade anliefen. Sie war indes in ihrer Phantasie zurückgegangen bis in das Tallinn von einst, mehr als ein Vierteljahrhundert vor der Gegenwart. Sie kannte diese Stadt, in ihrer ungewöhnlichen Vorstellungskraft war sie tatsächlich dort gewesen; sie hatte Leipzig und Kirow in der Zeit ihrer Freundschaft gekannt. Eine Love-Story, behauptete sie. Klein Otto und der Fette Oleg. Das sei der Schlüssel des Ganzen, sagte sie; soll die alte Närrin doch die Geschichte so erzählen, wie sie wirklich war, sagte sie, und Sie, George, können Ihre eigenen schnöden Ziele verfolgen, während ich spreche.
»Die Schildkröte und der Hase, Darling, genau das waren die beiden. Kirow, das dicke traurige Baby, Studien fleißig die Gesetzesbücher an der Uni und sieht in der verfluchten Geheimpolizei seinen Daddy; und unser kleiner Otto Leipzig, der Teufel in Person, mit allen Wassern gewaschen und auch schon im Gefängnis gewesen, arbeitet tagsüber in den Docks und schürt bei Nacht den Aufruhr bei den Blockfreien. Die beiden lernen sich in einer Kneipe kennen, und es war Liebe auf den ersten Blick. Otto riß die Mädchen auf, Oleg Kirow segelte in seinem Kielwasser und angelte sich die Reste. Was haben Sie mit mir vor, George? Heilige Johanna spielen?«
Er hatte ihr eine frische Zigarette angezündet und sie ihr in den Mund gesteckt, da er hoffte, sie zu beruhigen, aber durch das fieberhafte Sprechen war die Zigarette bereits weit genug abgebrannt, um sie zu versengen. Smiley nahm ihr flugs die Zigarette weg und drückte sie auf dem Blechdeckel aus, der als Aschenbecher diente.
»Eine Zeitlang teilten sie sich sogar ein Mädchen«, sagte Connie so laut, daß sie beinah schrie. »Und eines Tages, ob Sie's glauben oder nicht, kam diese arme Irre doch tatsächlich zu Klein Otto und warnte ihn unverblümt. >Dein fetter Freund ist eifersüchtig auf dich; und er ist ein Spitzel der Geheimpolizei<, sagte sie. >Der blockfreie Diskussionsclub wird demnächst hopsgenommen. Hüte dich vor den Iden des März!<«
»Sachte, Con«, warnte Smiley sie ängstlich. »Con, immer mit der Ruhe!«
Ihre Stimme wurde noch lauter:
»Otto warf das Mädchen hinaus, und eine Woche später wurde der ganze Verein
verhaftet. Einschließlich des fetten Oleg, versteht sich, der sie verpfiffen
hatte