»Ja. Ja, stimmt«, sagte Smiley.
»Prima. Dann her damit in Mengen. Wie geht's dem Dämon Ann?«
Auf dem Ablaufbrett fand er in einem permanenten Geschirrstapel zwei Gläser und füllte sie zur Hälfte.
»Blüht und gedeiht, wie ich annehme«, antwortete er.
Er erwiderte ihr offensichtliches Vergnügen über seinen Besuch durch freundliches Lächeln, reichte ihr ein Glas, und sie umklammerte es mit beiden, aus Pulswärmern ragenden Händen. »Annehmen!« echote sie. »Wenn Sie's nur endlich tun würden. An die Leine nehmen, das sollten Sie. Oder ihr gemahlenes Glas in den Kaffee schütten. Also dann, worauf sind Sie aus?« sagte sie, alles in einem Atemzug. »Ich habe nie erlebt, daß Sie irgendetwas ohne Grund tun. Auf Ihr Wohl!«
»Auf das Ihre, Con«, sagte Smiley.
Zum Trinken mußte sie den ganzen Oberkörper dem Glas nähern, und als ihr gewaltiger Kopf in den Lampenschein geriet, sah er - sagte ihm seine allzu lange Erfahrung -, daß sie die Wahrheit gesprochen und ihre Haut das aussätzige Weiß des Todes hatte.
»Los. Raus damit«, befahl sie mit ihrer strengsten Stimme. »Ob ich Ihnen helfen werde, weiß ich allerdings nicht. Seit unserer Trennung habe ich die Liebe entdeckt. Versaut die Hormone, weicht die Zähne auf.«
Er hätte gern mehr Zeit gehabt, um sie wieder kennenzulernen. Er war ihrer nicht sicher.
»Nur einer unserer alten Fälle, Con, nichts weiter«, begann er beschwichtigend. »Er ist wieder akut geworden, auch nichts Ungewöhnliches.« Er versuchte, seine Stimme um eine Stufe höherzuschrauben, damit sie beiläufiger klinge. »Wir brauchen noch ein paar Einzelheiten. Wissen Sie zufällig noch, wie eigen Sie mit Ihren Berichten waren?« fügte er scherzend hinzu.
Ihre Augen wichen nicht von seinem Gesicht.
»Kirow«, fuhr er fort und sprach den Namen sehr langsam aus. »Kirow, Vorname Oleg. Sagt Ihnen das etwas? Sowjetbotschaft, Paris, vor drei bis vier Jahren, Zweiter Botschaftssekretär? Wir glaubten, er sei ein Mann aus der Moskauer Zentrale.«
»War er«, sagte sie, und lehnte sich ein wenig zurück, beobachtete ihn jedoch unablässig.
Sie wollte eine Zigarette. Auf dem Tisch lag eine Zehnerpakkung. Er steckte ihr eine zwischen die Lippen und gab ihr Feuer, aber noch immer wollte ihr Blick nicht von seinem Gesicht ablassen.
»Saul Enderby hat diesen Fall abgewürgt«, sagte sie, spitzte die Lippen und blies einen mächtigen Rauchstrahl senkrecht nach unten, an Smileys Gesicht vorbei.
»Er ordnete an, daß der Fall nicht weiter bearbeitet werde«, korrigierte Smiley.
»Wo liegt der Unterschied?«
Smiley sah sich überraschend vor die Aufgabe gestellt, Saul Enderby zu verteidigen.
»Der Fall lief noch eine Weile, dann, in der Übergangszeit zwischen meiner Amtsführung und der seinen, erklärte er ihn verständlicherweise für unproduktiv.« Smiley hatte seine Worte mit größter Umsicht gewählt.
»Und jetzt hat er sich's anders überlegt«, sagte sie.
»Ich habe Einzelteile, Con. Ich will das Ganze.«
»Wie immer«, sagte sie. »George«,
brabbelte sie. »George Smiley. Herr im Himmel. Der Herr beschütze und bewahre
uns.
»Kirow«, sagte er nochmals, eindringlicher, und wartete, fragte sich allen Ernstes, ob es wirklich aus und vorbei sei mit ihr; ob ihr Geist zusammen mit ihrem Körper verfalle und nichts mehr zu holen sei.
»Kirow, Oleg«, wiederholte sie nachdenklich. »Geboren Leningrad Oktober 1929, laut Reisepaß, was keinen Pfifferling besagt, außer daß er Leningrad im ganzen Leben nicht einmal von fern gesehen hat.« Sie lächelte, als sei dies eben der Lauf der schnöden Welt. »Ankunft in Paris 1. Juni 1974, Rang und Stellung des Zweiten Botschaftssekretärs, Handelsabteilung. Vor drei bis vier Jahren, sagten Sie? Lieber Himmel, es könnten zwanzig sein. Stimmt, Darling, er war vom Geheimdienst. Klar. Indentifiziert durch die Pariser Loge der armen alten Riga-Gruppe, was uns auch nicht weiterhalf, schon gar nicht auf der fünften Etage. Wie war sein richtiger Name? Kursky. Natürlich, so hieß er. Ja, ich glaube, ich erinnere mich. Oleg Kirow, né Kursky, genau.« Ihr Lächeln kehrte zurück und war wiederum sehr hübsch. »Dürfte so ziemlich Wladimirs letzter Fall gewesen sein. Wie geht's dem alten Sünder?« fragte sie, und ihre feuchten klugen Augen warteten auf die Antwort.
»Oh, in Hochform«, sagte Smiley.
»Immer noch der Jungfernschreck von Paddington?«
»Bin ich überzeugt.«
»Hol's der Kuckuck, Darling«, sagte Connie und drehte den Kopf, bis sie ihm das Profil zuwandte, das ganz dunkel war bis auf den einen dünnen Strahl der Petroleumlampe, während sie wieder durchs Fenster starrte.
»Gehen Sie raus und sehen Sie nach dem verrückten Huhn, ja?« sagte sie liebevoll. »Am Ende hat sie sich in den Mühlbach gestürzt oder den Universal-Unkrautvertilger ausgetrunken.«