Wenn die posttraditionelle Gesellschaft zu konsistenten f"ur alle Erfahrungsbereiche konvergenten Erkl"arungen und Begriffen kommt, f"uhrt sie vorw"arts in eine traditionelle Gesellschaft, die sich aber grundlegend von derjenigen unterscheidet, von der diese posttraditionelle Gesellschaft startete.
Die Kultur einer Gesellschaft ist wesentlich davon getragen, wie Erfahrungen, deren theoretische Erkl"arung und das daraus folgende Handeln miteinander verbunden werden.
Dem Alltagsleben, wie auch der Wissenschaft, sowohl den Geistes–als auch den Naturwissenschaften, liegt ein Beziehungsgeflecht von Erfahrung, Erkl"arung und Handeln zu Grunde, die sich nicht einzeln konstituieren, sondern immer nur in ihrem Verbund sind, was sie sind. Durch Handeln erwerben wir Erfahrungen, die nur deshalb, weil wir ihnen – implizit oder explizit – eine Erkl"arung zugrunde legen, erfahrbar sind. Erfahrungen aber gehen auch jeder Handlung voraus, die wir nur vollziehen, weil wir aus unserer bisherigen Erfahrung und deren theoretischer Erkl"arung erwarten d"urfen, dass sie zuk"unftig ein bestimmtes Resultat bewirken. Die theoretischen Erkl"arungen m"ussen jeder Handlung vorausgehen, damit wir das Handlungsresultat "uberhaupt als Resultat unserer Handlung und damit als Grundlage und Prognoseinstrument f"ur weitere Handlungen verstehen k"onnen. Das Zusammenwirken konsistenter Handlung, Begriffen und Erfahrung, die immer zugleich auftreten, ist grundlegend f"ur jede menschliche Existenz. Vorausgesetzt wird dabei nicht, dass die Konsistenz"uberlegungen bei jeder Handlung im einzelnen rational vollzogen werden, vielmehr gilt f"ur die allt"aglichen Handlungen, dass sie routiniert "uber eingefahrene Schemata ablaufen. Fast immer verhalten wir uns, wie wir uns verhalten, weil wir uns in vergleichbaren Situationen schon immer so verhalten. Wir k"onnen dieses Verhalten ex post erkl"aren und eine Konsistenz sowohl mit den "ubrigen Erkl"arungskonzepten, den Begriffen, die wir haben, feststellen, als auch mit den "ubrigen Erfahrungen, die uns pr"asent sind und deren Erkl"arung die Koh"arenz unserer Handlungen "uberpr"ufbar macht.
Das, was die koh"arenten Einzelelemente unseres Wissens sind, macht kontinuierliche R"aume aus: den Erfahrungsraum, den Handlungsraum und das Gef"uge der zu Theorien verdichteten Begriffe. W"ahrend jeder ihrer Handlungen freilich "uberpr"ufen Individuen implizit ihre Schemata und ver"andern sie geringf"ugig. Dies geschieht, wenn unser Erfahrungsraum erweitert wird. Wenn wir h"aufiger Erfahrungen machen, die uns so bislang nicht bekannt sind, suchen wir nach neuen Erkl"arungen, um m"ogliche zuk"unftige Handlungen vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen absehbar zu machen. Wir erweitern unseren Erfahrungsraum. Zun"achst sucht man in dem bestehenden Wissensbestand, ob f"ur diese Erfahrungen bereits von anderen Individuen der Verstehensgemeinschaft Erkl"arungen (Begriffe) bekannt sind. Wenn dies nicht der Fall ist, wird f"ur die Erfahrung, wegen der m"oglichen sich daraus ergebenden Handlungen von Individuen, eine neue Erkl"arung oder neue Begriffe gesucht. Wenn dar"uber hinaus diese den Kulturtr"agern der Gesellschaft interessant genug erscheint, d"urfen wir erwarten, dass diese ver"anderten Erkl"arungen hinreichend in der Gesellschaft kommuniziert werden und zum Allgemeingut werden. Die «Gesellschaft“ hat wieder etwas neu verstanden. Dies kann aus allen Kulturbereichen heraus geschehen und in allen Kulturbereichen beginnen. Dieser Wandel z"ahlt zu dem Alltagsgesch"aft des Versehens in der traditionellen Gesellschaft.
Geringf"ugige "Anderungen vertr"agt das Erkl"arungssystem, d.h. das Gef"uge von Begriffen und Theorien, ohne dass es als ein neues Erkl"arungskonzept erscheint, denn Modifikationen von Bedeutungen und Bewertungen sind Teil des aktiven Verstehens. Begriffe, und das sind die Elemente der Erkl"arungskonzepte, sind – in Grenzen – bedeutungsunscharf ausgelegt. Mit jedem Begriff denken wir eine explizite Bedeutung und einen impliziten Bedeutungsgehalt. Die explizite Bedeutung bezeichnet den gedachten Sachverhalt. Der implizite (oder latente) Bedeutungsgehalt enth"alt Hinweise auf Konnotationen, Kontexte, und Verwendungsm"oglichkeiten, unter denen wir die Begriffe konsistent mit der Erfahrung und anderen Begriffen nutzen d"urfen. Auch eine Bewertung wird mit dem Begriff verbunden: Unter dieser Werthaltung assoziieren wir den Rang des Begriffs in der Begriffshierarchie der Erkl"arungen und auch die Wertigkeit, die die Erkl"arung f"ur eine m"ogliche Handlung aufgrund der in diesem Begriff enthaltenen Konsequenz hat.[8]