Die Ethik ist die wissenschaftliche Disziplin, die die methodischen Instrumentarien zur Verf"ugung stellen, um einer Gesellschaft rationale moralische Kriterien an die Hand zu geben. Die Ethik entwickelt als wissenschaftliche Disziplin Normen des Verhaltens und begr"undet diese Normen und spezifiziert deren Beziehungen untereinander. Ethik "uberpr"uft und schafft Konsistenz unter den Normen. Die geschriebenen und ungeschriebenen Kodizes (Recht und Moral) m"ussen widerspruchsfrei anwendbar sein, wenn sie Handlungen leiten sollen. Die darin liegenden Beziehungen zwischen Normen im Bereich von Sitte, Sittlichkeit und Moral auf der einen Seite und des Rechts auf der anderen Seite sind in der sp"aten oder alten traditionellen Gesellschaft in aller Regel koh"arent und widerspruchsfrei. Dort, wo sie es nicht sind, wird nachkorrigiert werden, damit das intuitive Rechtsempfinden in Gleichklang mit der Moral kommt. Die wissenschaftliche Disziplin, die in der traditionellen Gesellschaft diese Koh"arenz der religi"osen oder weltanschaulichen Normen in aller Regel zeigt und sicherstellt, ist die Ethik. Ihre Aufgabe beschr"ankt sich auf die Pr"ufung der Koh"arenz der Normen. Die weitgehend konsenten Normen m"ussen nicht geschaffen werden, sondern allenfalls explizit dargestellt werden. Als konsente Normen erscheinen sie aber in der traditionellen Gesellschaft als weitgehend unver"anderbar und nicht hintergehbar.
In der posttraditionellen Gesellschaft fehlen fast immer in grossem Masse die Normen selbst. Jetzt wird die Begr"undung und Schaffung von Normen zur zentralen Aufgabe der Ethik. Die ethische Herausforderung liegt in der posttraditionellen Gesellschaft, darin, dass der Wandel der Werte, die Normverletzung, der Tabubruch, nun zum Wert wird, und Normen allenfalls zeitweilig Geltung gewinnen, sofern sie begr"undet werden k"onnen. Die Ethik hat also in der posttraditionellen Gesellschaft neben der Pr"ufung der Normenkoh"arenz zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Kodizes die Aufgabe, Normen selbst zu entwickeln und zu begr"unden.
Im Bereich der Wirtschaft ist diese Struktur der posttraditionellen Gesellschaft u. a. als Akzeptanzproblem in vielf"altiger Weise virulent: Lebenslanges Lernen ist erforderlich, um dem Wandel der wissenschaftlich–technischen, organisatorischen Normen bis hin zu den kommunikativen Normen bew"altigen zu k"onnen; und die Diskussion um Globalisierung, Wirtschaftsstandort und Sozialversicherungsstandards sind «Verstehensprozesse einer Gesellschaft“ im Kontext von Werthaltungen. So werden sie Gegenstand der Untersuchungen der Ethik. Um ihre Begr"undung und Schaffung bem"uht sich in der posttraditionellen Gesellschaft die Ethik. Bei allem Normenwandel bleiben diese Verstehensprozesse selbst innerhalb philosophisch begr"undeter Begriffsrahmen — im Sinne unserer obigen Darstellung — rational verankert. Deshalb bietet die Wirtschaftsethik eine Chance: Ein Unternehmen kann — bei aller gesellschaftlich gebotenen Flexibilit"at — damit eine Stabilit"at hinsichtlich der Verbindlichkeit der individuellen und kollektiven Handlungen trotz des Fehlens eines allgemeinen Normenkonsenses erreichen, indem es sein eigenes Wertesystem individuell in der posttraditionellen Gesellschaft formuliert und seinen Partnern gegen"uber garantiert. Dieses System von Werten muss eine Reihe nicht leicht zu erreichender Bedingungen erf"ullen: Der zu erwartende Wertewandel muss so antizipiert werden, dass das Wertesystem nicht schon "uberholt ist, wenn es im Unternehmen konsent eingef"uhrt ist. Gleichzeitig muss es verbindlich sein. Da der Konsens "uber die Werte in der posttraditionellen Gesellschaft nicht trivialerweise zu erlangen ist, muss eine Beteiligung aller Betroffenen bei der Formulierung der Werte sichergestellt sein, ohne die Funktion der Werte in den Handlungsfolgen aus dem Auge zu verlieren. Die Koh"arenz der Werte, auch mit den nationalen und internationalen Rechtssystemen, sowie den Handlungsr"aumen der Mitbewerber muss bedacht sein.
Um dies alles zu erreichen, entwickelt die Philosophie die angemessenen methodischen Instrumente.
Філософія. Культура. Життя.
Вип. 22, Дніпропетровськ, 2003.