Der Täter klebte die Granate stattdessen mit dem heruntergedrückten Hebel auf Dieter Grammas Brust fest, zog als Nächstes den Draht, der durch die Schlaufe um Dieter Grammas Hals lief, um den Siphon des Waschbeckens und spannte ihn vor der Tür zu einem Stolperdraht.
Sein Plan lief darauf hinaus, dass jemand hereinkommen, die Handgranate zur Explosion bringen und die Polizei im anschließenden Chaos glauben würde, dass der Mann mit dem Kugelloch in der Jacke und dem weggesprengten Gesicht der Gesuchte war.
Angesichts des massiven Blutverlusts war der Killer wahrscheinlich nicht besonders schnell, doch für die Konstruktion seiner Falle benötigte er trotzdem nur vier Minuten von dem Moment an, in dem Dieter Gramma die Herrentoilette betrat, um seine Pistole und einige Magazine in das Waschbecken zu legen, die Rolle Klebeband wegzuwerfen, den Rucksack mit dem blutigen Messer hinter dem Wasserkasten einer Toilette zu verstauen, das Klebeband von der Linse der Überwachungskamera zu entfernen, über den Stolperdraht zu steigen und den Raum zu verlassen.
Er eilte durch den Korridor, gelangte zum Besprechungszimmer, öffnete die Doppeltüren, trat ein und legte ein Feuer, das schnell um sich griff, ging hinaus, klopfte an die Tür der Sachbearbeiterin Davida Meyer, wurde hereingelassen und hatte soeben sein angebliches Anliegen erläutert, als der Feueralarm ausgelöst wurde.
Fast fünfundzwanzig Minuten kniete Dieter Gramma fest verschnürt und mit einer Granate auf der Brust, ehe er mithilfe der Überwachungskamera entdeckt wurde. Wahrscheinlich versuchte er, Laute von sich zu geben, ohne zu riskieren, dass sich die Granate vom Klebeband löste. Die Obduktion ergab, dass in seinem Hals Blutgefäße geplatzt waren und er sich in die Wange gebissen hatte.
Die Tür zur Herrentoilette wurde geöffnet, und eine Schockgranate holperte über den gekachelten Boden, eine Granate, die keine Splitter und Stahlkugeln schleudert wie eine gewöhnliche Handgranate, sondern in geschlossenen Räumen nur eine heftige Druckwelle auslöst. Die Granate explodierte, und Dieter Gramma schlug mit dem Kopf gegen die Rohre und die gekachelte Wand und wurde ohnmächtig. Ein junger Militärpolizist namens Uli Schneider lief mit gezogener Waffe in den Raum. Die Herrentoilette war von der ersten Granate noch voller Rauch, und der junge Militärpolizist benötigte deshalb eine Sekunde zu lange, um zu begreifen, welche Folgen seine Berührung der Stahlleine haben würde.
Die Granate wurde von Dieter Grammas Körper weggezogen, und der Schalthebel federte hoch. Die Handgranate blieb an der Schlaufe unter seinem Kinn hängen, rutschte ein wenig herab, weil er ohnmächtig war, und explodierte mit schrecklichen Folgen.
Spende Boerse
88
Joona Linna, Saga Bauer und Penelope Fernandez fahren in einem gepanzerten Einsatzwagen durch Stockholm, lassen das Botschaftsviertel hinter sich, verlassen es auf dem Strandvägen, parallel zum glitzernden Wasser.
»Ich hatte ihn gesehen«, sagt Penelope. »Ich wusste, dass er niemals aufgeben würde, er hätte mich gejagt, immer weiter gejagt …«
Sie verstummt und starrt ins Leere.
»Und mich schließlich getötet«, sagt sie.
»Ja«, erwidert Saga.
Penelope schließt die Augen, sitzt einfach nur da und spürt die sanften Bewegungen des Wagens. Sie fahren an dem beeindruckenden Mahnmal zum Gedenken an Raoul Wallenberg vorbei. Wie schäumende Wellen oder hebräische Schrift, die über die Erde weht.
»Wer war er?«, fragt Penelope. »Wer war der Mann, der mich gejagt hat?«
»Ein Profikiller«, antwortet Joona.
»Weder bei Europol noch bei Interpol liegt etwas über ihn vor«, bemerkt Saga.
»Ein Profikiller«, wiederholt Penelope langsam. »Dann hat ihn also jemand beauftragt?«
»Ja«, antwortet Saga. »Das steht außer Frage, aber wir werden keine Verbindung zu seinem Auftraggeber finden können.«
»Raphael Guidi?«, fragt Penelope leise. »War er es? Oder Agathe al-Haji?«
»Wir denken, dass es Raphael Guidi gewesen ist«, meint Saga. »Denn für Agathe al-Haji spielt es im Grunde keine Rolle, ob Sie als Zeugin aussagen, dass sie versucht, Munition zu kaufen …«
»Es ist ja kein Geheimnis, was sie da treibt«, ergänzt Joona.
»Dann hat also Raphael Guidi einen Mörder geschickt, aber … was will er? Wissen Sie das? Geht es bei dem allen nur um das Foto?«
»Raphael Guidi glaubt vermutlich, dass Sie die Fotografin sind, er glaubt, dass Sie eine Zeugin sind und Dinge gesehen und gehört haben, die ihn entlarven könnten.«
»Glaubt er das immer noch?«
»Wahrscheinlich.«
»Dann wird er einen neuen Mörder schicken?«
»Das befürchten wir«, antwortet Saga.
»Wie lange werde ich unter Polizeischutz stehen, bekomme ich eine neue Identität?«
»Wir werden die Sache noch durchsprechen müssen, aber …«
»Man wird mich jagen, bis ich nicht mehr die Kraft habe weiterzulaufen«, sagt Penelope.
Sie kommen am Nobelkaufhaus NK vorbei und sehen drei Jugendliche, die vor dem eleganten Haupteingang in einen Sitzstreik getreten sind.