»Nein«, flüstert Penelope.
»Ich verstehe den Geschäftsmann Pontus«, fährt Veronique Salman fort. »Denn Silencia brauchte diesen Auftrag wirklich sehr. Der Sudan ist ein großes Land mit unsicherem Munitionsnachschub für seine Sturmgewehre, sie benutzen fast ausschließlich Fabrique Nationale, und Belgien liefert allem Anschein nach keine Munition. Die Augen der Welt sind auf das Land gerichtet, Schweden ist dagegen niemals Kolonialmacht gewesen, wir genießen einen guten Ruf in der Region und so weiter. Pontus sah die Chance, und als der Bürgerkrieg im Sudan vorbei war, handelte er schnell. Raphael Guidi vermittelte das Geschäft. Sie wollten den Vertrag unterzeichnen. Es war alles vorbereitet, als der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wegen der Verwicklung in den Völkermord der Miliz in Darfur auf einmal einen Haftbefehl gegen Präsident al-Bashir ausstellte.«
»Ein Export würde gegen internationales Recht verstoßen«, erläutert Saga.
»Das wussten natürlich alle, aber Raphael blies das Geschäft trotzdem nicht ab, er meinte nur, er habe neue Interessenten gefunden. Es dauerte ein paar Monate, aber dann erklärte er, die kenianische Armee werde als Geschäftspartner einspringen. Ich versuchte, mit Pontus zu sprechen, ihm zu sagen, dass die Munition ganz offensichtlich für den Sudan bestimmt sei, aber Pontus antwortete nur, Kenia habe die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, weil es ein gutes Geschäft sei und das Land Munition brauche. Ich weiß nicht, ob er das selbst geglaubt hat, ehrlich gesagt denke ich es nicht, aber er schob die ganze Verantwortung auf Carl Palmcrona und die Staatliche Waffenkontrollbehörde. Wenn Palmcrona eine Ausfuhrgenehmigung ausstellt, ist alles in bester Ordnung, meinte er und …«
»Damit macht man es sich aber leicht«, wirft Penelope ein.
»Deshalb habe ich das Foto gemacht, ich wollte wissen, wer in dieser Loge saß, ich bin einfach hineingegangen und habe mit meinem Handy ein Bild geschossen, gesagt, ich würde versuchen zu telefonieren, Pontus habe ich erzählt, mir ginge es nicht gut, deshalb würde ich ein Taxi ins Hotel nehmen.«
»Das war mutig«, sagt Penelope.
»Ich wusste ja gar nicht, wie gefährlich es war, sonst hätte ich es mit Sicherheit nicht getan«, sagt Veronique. »Ich war wütend auf Pontus und wollte ihn dazu bringen, sich zu ändern. Ich verließ die Alte Oper mitten im Konzert und sah mir das Bild im Taxi an. Und was ich sah, war reiner Wahnsinn. Die Käuferseite wurde von Agathe al-Haji repräsentiert, sie ist die Sicherheitsberaterin des sudanesischen Präsidenten, ich meine, die Munition würde doch direkt in diesen Bürgerkrieg gepumpt werden, von dem keiner etwas hören will.«
»Völkermord«, flüstert Penelope.
»Als wir nach Hause kamen, sagte ich Pontus, dass er einen Rückzieher machen muss … Ich werde niemals seinen Blick vergessen, als er mich ansah und meinte, das gehe nicht. Er habe einen Paganini-Vertrag geschlossen, erklärte er, und als ich seinen Blick sah, bekam ich Angst. Er war vor Furcht wie gelähmt. Ich wagte es nicht, das Bild auf meinem Handy zu behalten, also druckte ich es aus, löschte es von Speicherkarte und Festplatte und schickte es Ihnen zu.«
Mit hängenden Armen und resigniertem Gesicht steht Veronique Salman vor Penelope.
»Ich wusste nicht, was passieren würde«, sagt sie leise. »Woher sollte ich das wissen? Es tut mir unendlich leid, ich kann Ihnen gar nicht sagen …«
Für einen Moment wird es still im Raum, in der Ferne hört man das Rauschen des Pools.
»Was ist ein Paganini-Vertrag?«, fragt Joona.
»Raphael Guidi besitzt mehrere Geigen von unschätzbarem Wert«, sagt Veronique. »Er sammelt Instrumente, auf denen Paganini vor mehr als hundert Jahren gespielt hat. Manche Geigen bewahrt er zu Hause auf, andere leiht er herausragenden Musikern und …«
Ehe sie weiterspricht, streicht sie sich nervös übers Haar.
»Das mit Paganini … also ganz habe ich es nicht verstanden, aber Pontus sagt, dass Raphael Paganini mit dem Vertrag in Verbindung bringt, er sagt immer, seine Verträge seien ewig gültig, darum geht es ihm. Es werden keine Papiere unterzeichnet, es … Pontus hat mir erzählt, Raphael habe alles vorbereitet. Er habe alle Zahlen im Kopf, kenne die Logistik, wie und wann das Geschäft durchgeführt werden solle. Er erklärte jedem Einzelnen, was von ihm verlangt wurde und wie viel er an dem Geschäft verdienen würde. Wenn man seine Hand geküsst hat, gibt es keinen Ausweg mehr, keine Möglichkeit zur Flucht, keinen Schutz, nicht einmal die Chance zu sterben …«
»Warum nicht?«, fragt Joona.
»Das ist Raphael … ich weiß nicht, er … es ist so grauenvoll«, sagt sie mit zitterndem Mund. »Es gelingt ihm, allen Beteiligten zu entlocken, wie sie … wie sie sich ihren schlimmsten Albtraum vorstellen.«
»Wie bitte?«, sagt Saga.
»Das waren Pontus’ Worte, er meinte, Raphael besitze diese Fähigkeit«, antwortet Veronique Salman.
»Aber was meint er mit Albtraum?«, will Joona wissen.