»Indem ich meine Magie anwende. Und die Magie der Kugel der Drachen. Es ist ganz einfach, obwohl es wahrscheinlich über deinen schwachen Verstand geht. Ich verfüge jetzt über die Macht, die Energie meines Körpers und die Energie meines Geistes zu verschmelzen. Ich werde reine Energie werden Licht, wenn du dir das so vorstellen kannst. Und indem ich Licht werde, kann ich durch den Himmel wie die Strahlen der Sonne reisen und in diese körperliche Welt zurückkehren, wann immer und wo immer ich will!«
Tanis schüttelte den Kopf, Raistlin hatte recht – der Gedanke ging über sein Verstehen. Er konnte ihn nicht fassen, aber er schöpfte Hoffnung.
»Kann die Kugel das für uns alle machen?« fragte er.
»Möglicherweise«, antwortete Raistlin hustend. »Aber ich bin mir nicht sicher. Und ich will es nicht ausprobieren. Ich weiß, daß
Wut wallte in Tanis auf und ersetzte seine Angst. »Wenigstens dein Bruder…«, begann er hitzig.
»Niemand«, sagte Raistlin, seine Augen verengten sich.
»Bleib zurück.«
Eine wahnsinnige, verzweifelte Wut tobte in Tanis. Irgendwie mußte er Raistlin zur Vernunft bringen! Irgendwie würden sie alle diese seltsame Magie zur Flucht verwenden! Tanis wußte genug über Magie, um sich im klaren zu sein, daß Raistlin jetzt keinen Zauber wagen würde. Er würde seine ganze Kraft nötig haben, um die Kugel der Drachen zu kontrollieren. Tanis ging nach vorn, als er in der Hand des Magiers etwas Silbernes aufblitzen sah. Anscheinend aus dem Nichts war ein kleiner silberner Dolch erschienen, am Gelenk des Magiers unter einem geschickt getarnten Lederriemen verborgen. Tanis hielt inne, seine Augen trafen Raistlins.
»Nun gut«, sagte Tanis schweratmend. »Mich würdest du, ohne einen zweiten Gedanken zu verlieren, töten. Aber du würdest deinen Bruder nicht verletzen. Caramon, halte ihn auf!«
Caramon trat einen Schritt zu seinem Bruder. Raistlin hob warnend den silbernen Dolch.
»Mach das nicht, mein Bruder«, sagte er sanft. »Komm nicht näher.«
Caramon zögerte.
»Geh weiter, Caramon!« sagte Tanis bestimmt. »Er wird dich nicht verletzen.«
»Erzähl es ihm, Caramon«, flüsterte Raistlin. Die Augen des Magiers starrten in die seines Bruders. Seine Stundenglasaugen weiteten sich, das goldene Licht flackerte gefährlich auf.
»Erzähl Tanis, wozu ich in der Lage bin. Erinnere dich. So wie ich mich erinnere. Diese Erinnerung kommt immer wieder, sobald wir uns ansehen, nicht wahr, mein lieber Bruder?«
»Was soll er mir erzählen?« fragte Tanis, der nur halb zuhörte. Wenn er Raistlin ablenken konnte… sich auf ihn stürzen…
Caramon wurde leichenblaß. »Die Türme der Erzmagier…« Er stammelte. »Aber uns wurde verboten, darüber zu sprechen! Par-Salian hat gesagt…«
»Das ist jetzt egal«, unterbrach ihn Raistlin. »Es gibt nichts, was Par-Salian mir anhaben könnte. Wenn ich erst einmal besitze, was mir versprochen wurde, dann wird nicht einmal der große Par-Salian die Macht haben, mir gegenüberzutreten! Aber das ist nicht euer Problem.«
Raistlin holte tief Luft, dann begann er zu sprechen, seine seltsamen Augen waren immer noch auf seinen Bruder gerichtet. Tanis, der nur halb zuhörte, schlich sich näher, sein Herz pochte in seiner Kehle. Eine schnelle Bewegung, und der zerbrechliche Magier würde stürzen… Dann wurde Tanis von Raistlins Stimme festgehalten, gezwungen, einen Moment stehenzubleiben und zuzuhören, fast als ob Raistlin einen Zauber geworfen hätte.
»Die letzte Prüfung im Turm der Erzmagier, Tanis, war gegen mich selbst gerichtet. Und ich habe versagt. Ich habe ihn getötet, Tanis. Ich habe meinen Bruder getötet«, Raistlins Stimme klang gelassen, »oder zumindest dachte ich, es wäre Caramon.« Der Magier zuckte die Schultern. »Wie sich herausstellte, hatten sie diese Illusion geschaffen, damit ich die Tiefen meines Hasses und meiner Eifersucht erkenne. Sie glaubten, auf diese Weise meine Seele von der Dunkelheit zu reinigen. Aber was ich in Wirklichkeit gelernt habe, war, daß mir jede Selbstbeherrschung fehlt. Da dies jedoch nicht Teil der wahren Prüfung war, wurde mein Versagen nicht angerechnet mit Ausnahme von einer Person.«
»Ich habe beobachtet, wie er mich getötet hat!« weinte Caramon jämmerlich. »Sie ließen mich beobachten, damit ich ihn verstehen würde!« Der Mann schlug die Hände vor sein Gesicht, sein Körper zuckte in einem Schauder. »Ich verstehe es!« schluchzte er. »Ich habe es dann verstanden! Es tut mir leid! Aber geh nicht ohne mich, Raist! Du bist so schwach! Du brauchst mich…«
»Nicht mehr, Caramon«, flüsterte Raistlin mit einem sanften Seufzen. »Ich brauche dich nicht mehr!«
Tanis starrte beide an, ihm war vor Entsetzen übel. Er konnte es nicht glauben! Nicht einmal von Raistlin! »Caramon, geh weiter!« befahl er heiser.
»Bring ihn nicht dazu, näher zu kommen, Tanis«, sagte Raistlin. Seine Stimme war liebenswürdig, als ob er Tanis’