Kurz, bevor die Kabine vollends in den Schacht sank und die Dunkelheit über ihnen zusammenschlug, sah Tally noch einmal zu den Hornköpfen auf, die mit ihren gewaltigen Körperkräften Wellers Maschine bedienten, und für einen ganz kurzen Moment blickte sie genau in das glatte Horngesicht eines der Ungeheuer.
Was sie sah, ließ sie schaudern. Die faustgroßen Facettenaugen des Hornkopfes waren ausdruckslos wie geschliffene Halbkugeln aus Glas – und doch... Etwas war an diesen Hornköpfen anders als an allen, denen sie bisher begegnet war. Sie wußte nicht was, und ein Teil von ihr versuchte immer noch, sie davon zu überzeugen, daß sie sich von Hrhons Hysterie anstecken ließ. Aber sie war trotzdem überzeugt, daß mit diesen Hornköpfen etwas nicht stimmte.
Die Fahrt in die Tiefe schien endlos zu dauern. Der Gitterkorb schaukelte und schwankte wie ein kleines Boot auf stürmischer See, und mehr als einmal krachte er mit solcher Wucht gegen die Wand, daß Tally fast das Gleichgewicht verlor. Weller wurde zu einem verschwommenen Schatten zwei Schritte vor ihr, und es wurde beständig dunkler, obwohl tief unter ihnen ein heller Fleck von Tageslicht schimmerte.
»Du bist ein verdammt mißtrauisches Weib«, sagte Weller nach einer Weile. Tally konnte sein Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen, aber seine Stimme klang eher beleidigt als wirklich zornig.
»Ich habe genug bezahlt, um es sein zu dürfen«, erwiderte sie. »Außerdem lebe ich noch. Das wäre nicht so, wäre ich nicht so mißtrauisch.«
Weller lachte leise. »Ich werde nicht schlau aus dir, Tally«, sagte er. »Was hast du vor, wenn wir unten sind? Willst du mich erschlagen?«
»Du wirst uns begleiten«, erwiderte Tally. »Nicht sehr weit. Nur bis wir in der Stadt sind.«
»Das würde euch wenig nutzen«, sagte Weller.
»Wieso?«
»Du hast noch nie eine wirklich große Stadt gesehen, wie?« vermutete Weller. »Schelfheim ist groß, und damit meine ich wirklich
»Wir suchen jemanden«, antwortete Tally nach kurzem Zögern.
»Oh.« Weller kicherte. »Nun, dann seid ihr in Schelfheim richtig. Es gibt einige hundertausend
Tally nickte. Dann fiel ihr ein, daß Weller die Bewegung in der Dunkelheit ja nicht sehen konnte, und sie sagte: »Ja. Er heißt Karan.«
»Karan, der Verrückte?« Weller keuchte. »Wenn du ihn finden willst, wünsche ich dir viel Spaß. Das ist fast unmöglich, ohne jemanden, der euch durch die Stadt führt.«
»Und wieso?«
»Weil er im Norden wohnt, und das ist eine Gegend, in die sich nicht einmal die Stadtgarde wagt. Es wimmelt dort von Gesindel und Halsabschneidern, die dir für einen roten Heller den Hals umdrehen.«
»Kennst du ihn denn?« fragte Tally harmlos.
»Karan?« Weller schnaubte. »Sicher. Aber du –« Er brach ab, und trotz der pechschwarzen Finsternis glaubte Tally seine vorwurfsvollen Blicke direkt zu spüren. »Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht«, gestand er nach einer Weile. »Jetzt wirst du darauf bestehen, daß ich dich hinführe.«
»Ja«, sagte Tally ruhig. »Das werde ich wohl.«
Weller schnaubte. »Verdammt, ich werde nicht schlau aus dir, Tally«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich dich verfluchen oder deine Gerissenheit bewundern soll. Du wärst ein würdiger Partner für mich. Aber du bist dabei, mich zu ruinieren, ist dir das klar? Wer ersetzt mir den Verdienstausfall, während ich den Fremdenführer für dich spiele?«
»Ich werde dich entschädigen«, antwortete Tally. »Du kannst uns ja bei der Stadtgarde verraten, sobald wir fort sind. Sie werden zwar keine Belohnung für jemanden bezahlen, den sie nicht haben, aber ein Mann wie du lebt ja wohl davon, gute Beziehungen zu den Mächtigen zu pflegen – oder?«
Weller antwortete nicht; aber er tat es auf eine sehr bezeichnende Weise.
3
Es wurde Nacht, ehe sie die Stadt erreichten. Der Schacht endete zwar in einer gewaltigen Höhle, deren nördliche Wand zusammengebrochen war, so daß der Schelf vor ihnen lag und sie nur wenige Schritte zu gehen brauchten, um ins Freie zu gelangen. Aber was von oben aus betrachtet wie ein schmaler Sandstreifen ausgesehen hatte, der die Klippe von den ersten Häusern der Stadt trennte, erwies sich in Wahrheit als ein Stück von gut zwei Meilen, das zudem so unwegsam und so mit Felstrümmern und wucherndem Gestrüpp übersät war, daß das Gehen zu einer reinen Qual wurde.
Tally war dennoch froh über die Umstände; denn nur so hatten sie überhaupt eine Chance, die Stadt ungesehen zu erreichen – was ihn nach dem Gespräch mit Weller wichtiger denn je erschien. Sie war besorgt, weitaus stärker, als sie sich anmerken ließ. Sie hatte gewußt, daß Hrhon und sie gejagt wurden – so wie tausend andere aus tausend anderen Gründen. Trotzdem war sie schockiert, daß ein Mann wie Weller sie und Hrhon auf den ersten Blick erkannt hatte.