»Hier schon.« Weller machte eine bestimmende Handbewegung, als Tally widersprechen wollte. »Du kommst aus dem Süden, Kindchen«, fuhr er fort. »Dort mag das alles stimmen. Aber Schelfheim ist anders. Ohne genügend Geld bist du hier verloren. Aber ich will nicht so sein – jemand, der von den Töchtern des Drachen gesucht wird, verdient es, ein wenig Hilfe geschenkt zu bekommen. Also: eine Frage hast du frei.«
»Die Töchter des Drachen?« Tally starrte Weller ungläubig an. »Woher hast du diesen Namen?«
»Ist das die Frage? « Weller grinste.
Allerdings nicht sehr lange, denn Tally beugte sich blitzschnell vor, ergriff ihn am Kragen und zerrte ihn mit solcher Kraft zu sich herab, daß er fast das Gleichgewicht verlor. »Woher du diesen Namen hast, will ich wissen!«
»Beim Schlund, laß mich los!« keuschte Weller. Vergeblich versuchte er, Tallys Griff zu sprengen, erreichte damit aber nur, daß sie nun auch noch die andere Hand in sein Wams krallte und ihm fast vollends den Atem abschnürte. »Ich antworte ja, aber wie kann ich das, wenn du mich erwürgst?«
Tally ließ widerstrebend sein Wams los, starrte ihn aber weiter drohend an. Weller richtete sich keuchend wieder auf, fuhr sich mit der Linken über die Kehle und senkte die andere Hand auf das Schwert.
Tally schüttelte ganz sacht den Kopf. »Versuch es nicht«, sagte sie.
»Die Beschreibung, die man mir gegeben hat, stimmt wirklich«, murrte Weller. »Du
»Ich glaube, ich habe dir eine Frage gestellt«, erinnerte Tally. Weller starrte sie finster an, kroch ein kleines Stück von ihr zurück und strich abermals mit den Fingern über seine mißhandelte Kehle.
»Sie sind die wahren Herren von Schelfheim«, antwortete er unwillig. »Der Stadthalter und seine Soldaten gehorchen ihnen, auch wenn sie es nicht zugeben wollen.«
»Wieso Töchter des Drachen?« fragte Tally.
»Wieso Tally?« erwiderte Weller böse. »Sie nennen sich eben so. Und sie haben ganz entschieden etwas gegen dich und deinen Freund da. Was glaubst du, woher die Belohnung stammt, die auf deinen Kopf ausgesetzt ist?« Er fluchte. »Ich weiß gar nicht, warum ich mich mit dir abgebe. Ich hätte dich gleich zum Teufel jagen sollen.« Er stand auf und stieß wütend mit dem Fuß ins Feuer, daß die Funken flogen. »Kommt jetzt. Es ist Zeit.«
Die Stunde, von der er zuvor gesprochen hatte, war noch lange nicht verstrichen, aber Tally gehorchte trotzdem. Ihre Gedanken kreisten wie wild um den Namen, den Weller genannt hatte.
Es konnte Zufall sein, aber wenn, dann war es ein so großer Zufall, daß es ihr schwer fiel, ihn zu akzeptieren. Auf der anderen Seite erschien es ihr unglaublich, daß sie in solcher Offenheit auftreten sollten. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Plötzlich konnte sie es kaum mehr erwarten, nach Schelfheim zu kommen. Vielleicht war sie ihrem Ziel näher, als sie geahnt hatte.
2
Aber bevor es so weit war, wartete noch ein gehöriger Fußmarsch auf sie. Weller verließ die Höhle durch einen der Stollen, die in ihre Wände mündeten, und für eine gute halbe Stunde führte er sie durch ein wahres Labyrinth finsterer, sich kreuzender Gänge und schräger Rampen, die mal nach oben, mal abwärts führten. Sie kam nicht dazu, Weller eine weitere Frage zu stellen, denn er ging so weit und so rasch vor ihnen, daß Tally und Hrhon Mühe hatten, überhaupt mit ihm Schritt zu halten, zumal sie noch die Pferde mit sich führen mußten, denen es gar nicht gefiel, durch pechschwarze Tunnel gezwungen zu werden. Schließlich endete der Marsch in einer zweiten, allerdings sehr viel kleineren Kuppelhöhle.
Der Geruch warnte sie, Augenblicke, bevor sie hinter Weller aus dem Gang trat. Und trotzdem wäre es um ein Haar zur Katastrophe gekommen. Sie spürte die Bewegung, eine halbe Sekunde, bevor Hrhon ein wütendes Zischen ausstieß und sie kurzerhand zur Seite schob; so wuchtig, daß sie gegen die Wand prallte und auf die Knie herabfiel. Weller ließ ein überraschtes Keuchen hören, aber der Waga rannte ihn einfach nieder und stürzte sich mit drohend erhobenen Fäusten auf das schwarzglänzende Chitinbündel, das ihm aus seinen starren Facettenaugen entgegenblickte und gar nicht begriff, wie ihm geschah.
»Hrhon – nicht!« rief Tally verzweifelt. »Hör auf!« Sie konnte nicht genau erkennen, ob Hrhon ihre Worte überhaupt gehört hatte, aber einen Augenblick später hörte sie ein dumpfes, berstendes Geräusch, dem ein pfeifender Schmerzlaut folgte, und die Schatten des Waga und des Hornkopfes verschmolzen zu einem unentwirrbaren Bündel wirbelnder Glieder.