Tally nahm die Hand vom Schwert, griff statt dessen unter den Gürtel und zog die Geldbörse heraus. »Das ist alles, was wir haben«, sagte sie, während sie Braku den schmal gewordenen Lederbeutel aushändigte. »Nehmt es und laßt uns in Frieden ziehen.«
Der Klorscha riß ihr den Beutel aus der Hand und schob ihn in eine Tasche seines Mantels. Er machte sich nicht einmal die Mühe, hineinzusehen. »Das ist großzügig«, sagte er spöttisch. »Aber ich fürchte, es reicht nicht ganz.«
»Mehr haben wir nicht«, antwortete Tally. »Ihr könnt es natürlich auf einen Kampf ankommen lassen, und wahrscheinlich würdet ihr ihn auch gewinnen. Aber mehr als das, was ihr schon habt, würdet ihr nicht erbeuten, und wahrscheinlich würden ein paar von euch dabei sterben. Du als erster«, fügte sie lächelnd hinzu. Gleichzeitig kroch ihre Hand wieder unter den Mantel, aber dieses Mal nicht zum Schwert, sondern zur anderen Seite ihres Gürtels. Sie hatte die entsetzliche Waffe, die sie den Drachenreiterinnen abgenommen hatte, niemals gegen Menschen eingesetzt, und sie hatte sich geschworen, es niemals zu tun – aber wozu waren gute Vorsätze da, wenn nicht, um gebrochen zu werden?
Braku starrte sie mit offenem Mund an und schien nicht genau zu wissen, ob er nun wütend werden oder abermals in Gelächter ausbrechen sollte, »Du hast Mut«, sagte er schließlich. »Das gefällt mir. Aber dein Ton paßt mir nicht, Kleines.«
Tally schwieg. Sie wußte, daß sie Braku nicht zu sehr provozieren durfte – wenn er glaubte, vor seinen Leuten das Gesicht zu verlieren, dann hatte er keine andere Wahl mehr, als sie zu töten.
»Du hast also kein Geld«, fuhr Braku fort. Seine Augen wurden schmal. »Das ist bedauerlich. Aber wenn ich dich recht betrachte, dann gibt es vielleicht noch eine andere Möglichkeit, wie du bezahlen kannst.« Er kicherte anzüglich, hob den Arm und streckte die Hand nach Tally aus. Hrhon zischte drohend, und Braku führte die Bewegung nicht zu Ende.
»Tu es nicht«, sagte Tally ruhig. »Hrhon würde dich in Stücke reißen.«
Es wurde still. Brakus Männer hatten jedes Wort gehört, und Tally sah, wie die Mauer aus zerlumpten Gestalten ganz langsam näher kam. Und auch hinter ihr waren jetzt Geräusche. Sie waren eingekreist.
»Du machst es mir wirklich schwer, Kindchen«, sagte Braku drohend. »Möglicherweise hätte ich mich damit zufrieden gegeben, diesen Lumpen da in Stücke zu hacken und mich ein paar Stunden mit dir zu amüsieren.«
»Glaub ihm nicht«, sagte Weller. »Er wird uns alle umbringen!«
Braku drehte betont langsam den Kopf. »Wer spricht von umbringen?« fragte er ruhig. »Vielleicht reicht es mir ja, dir die Hände abzuschneiden und sie dich fressen zu lassen. Oder ich steche dir die Augen aus und –« Irgend etwas zischte dicht über Tallys Kopf durch die Luft, riß eine dünne, blutige Spur in Brakus Gesicht und bohrte sich mit einem dumpfen Schlag in die Brust des hinter ihm stehenden Mannes. Der Klorscha keuchte, taumelte einen halben Schritt zurück und brach in die Knie. Seine Hände umklammerten den gefiederten Bolzen, der aus seiner Brust ragte.
In der schmalen Gasse brach die Hölle los. Plötzlich war die Luft voller sirrender, tödlicher Geschosse, und ebenso plötzlich begannen Brakus Männer durcheinanderzuschreien und –laufen. Ein zweiter und dritter Klorscha fielen, und irgend etwas sirrte mit einem ekelhaften Geräusch an Tallys Ohr vorbei und schlug Funken aus der Wand, vor der sie stand.
Tally ließ sich blitzartig zur Seite fallen, kam mit einer Rolle wieder auf die Füße und sah gerade noch, wie Braku seine Keule hochriß und mit einem urgewaltigen Schrei auf ein schwarzes, gehörntes Etwas losging, das wie ein Dämon aus der Nacht aufgetaucht war.
Er führte den Hieb niemals zu Ende. Ein ganzes Dutzend Pfeile und Bolzen senkte sich mit tödlicher Präzision auf ihn herab. Und plötzlich machte der gewaltige Vorderlauf der Beterin eine blitzartige, schnappende Bewegung, und Braku war nur noch ein kopfloser Torso, der mit einer grotesk langsamen Bewegung nach hinten kippte. Dann richtete sich der Blick der faustgroßen Facettenaugen auf Tally.
Hinter der ersten Beterin erschienen die häßlichen Schädel weiterer Hornköpfe, groteskerweise von kleinen, albern aussehenden Helmen aus glänzendem Metall gekrönt, und auch vom anderen Ende der Gasse erscholl das helle, widerwärtige Pfeifen der Rieseninsekten. Tally wich mit einem hastigen Schritt bis zur Wand zurück, duckte sich unter einem Pfeil hindurch und zerrte verzweifelt das Schwert aus dem Gürtel.
Die Klinge prallte funkensprühend gegen den gewaltigen Schlagarm der Beterin. Der Hieb verfehlte sein Ziel, und Tallys Kopf blieb, wo er war, aber die Wucht des Schlages ließ Tally auch zurücktaumeln und auf die Knie herabsinken. Ihre Hand war gelähmt. Sie hielt das Schwert noch fest, aber sie hatte nicht mehr die Kraft, es zu heben.