Essk widersprach nicht, und Tally glaubte sogar so etwas wie Zustimmung auf ihrem starren Schildkrötengesicht zu erkennen. Sie begriff, daß selbst die beiden Waga an den Grenzen ihrer Kraft angelangt waren. Sie hatten die Hauptlast der Mühen und Anstrengungen getragen, die die letzten Tage gebracht hatten. Essks Frage war wohl nur rhetorischer Natur gewesen. Es war zu spät, noch an diesem Tage zurückzugehen; denn obwohl der Himmel über dem Turm noch immer in Flammen zu stehen schien, würde die Sonne in einer Stunde untergehen.
Überdies gab es keinen Grund, überhaupt zurückzugehen. Sie konnten die Nacht ebensogut hier verbringen wie in dem Keller im Nebengebäude, und etwas in Tally weigerte sich auch, jetzt einfach kehrtzumachen, ohne das Geheimnis des Turmes wirklich gelöst zu haben. Müde ließ sie sich in die seidenen Kissen zurücksinken, schloß die Augen und gähnte herzhaft. Ihre Beine schienen mit einem Male mit Blei gefüllt zu sein, und jetzt, als die Anspannung von ihr abzufallen begann, machten sich Müdigkeit und Schwäche auf wohltuende Weise in ihr breit.
»Ihr habt alles gründlich durchsucht?« murmelte sie, schon halb eingeschlafen.
»Sssicher«, zischelte Essk. »Ihr könnt beruuuhigt ssslafen, Herrin.«
Und genau das tat Tally auch.
7
Ihre Geduld wurde auf keine sehr harte Probe mehr gestellt. Nach zehn Jahren hatte das Schicksal endlich ein Einsehen mit ihr; ja, sie mußte nicht einmal mehr zehn Tage warten, sondern wenig mehr als einen und ein paar Stunden. Aber natürlich wußte sie das nicht, als sie am nächsten Morgen erwachte, und als Essk sie beinahe sanft an der Schulter berührte und schüttelte – zumindest
Tally schenkte ihr einen bösem Blick, richtete sich mühsam auf und sah sich nach irgend etwas um, worauf sie ihren Zorn entladen konnte.
Sie fand es in Gestalt des zweiten Waga, der in diesem Augenblick durch die turmaufwärts führende Tür hereinkam, beide Arme mit Waffen und allerlei Gerätschaften beladen und hörbar schnaufend vor Anstrengung – was allerdings kaum auf das Gewicht seiner Last, sondern wohl eher auf die Treppenstufen zurückzuführen war, die er sich auf seinen unbeholfenen Beinen hinauf- und wieder hinabgequält hatte.
Normalerweise hätte der Anblick Tally amüsiert. Aber sie hatte auf den ungewohnt weichen Kissen schlecht geschlafen, und natürlich hatte sie geträumt, und nicht unbedingt etwas, woran sie sich gerne erinnerte.
»Was, beim Schlund, treibst du da, du Fischgesicht?« fauchte sie. »Wer hat dir befohlen, den Turm zu plündern?«
Hrhon sah sie eindeutig betroffen an, lud seine Last auf das kleine Tischchen neben der Tür ab und breitete verlegen die Arme aus. »Isss dachte... «, begann er, wurde aber sofort von Tally unterbrochen:
»Genau das ist dein Fehler, Hrhon«, sagte sie übellaunig. »Ist dir schon einmal aufgefallen, daß jeder Satz, den du mit den Worten:
Hrhon war klug genug, nicht darauf zu antworten, und Tally wischte sich mit einer fahrigen Geste endgültig den letzten Schlaf aus den Augen und trat an ihm vorbei an den Tisch, um seine Beute zu begutachten.
Es handelte sich zum allergrößten Teil um Waffen – Schwerter, Dolche, Bögen und ein paar Tally unbekannte, aber sehr unangenehm aussehende Dinge, die sie nicht einmal in die Hand hätte nehmen können, ohne Gefahr zu laufen, ein paar Finger zu verlieren. Aber es gab auch zwei der kleineren, fremdartigen Waffen, wie sie die beiden toten Frauen getragen hatten, und etwas, das wie ein Blasrohr aussah, dessen hinteres Ende mit einer Stütze versehen war, welche sich genau ihrer Schulter anpaßte. Tally dachte an das kopfgroße Loch, das die Waffe der Fremden unten im Nebenhaus in die Mauer geschlagen hatte, und legte das Rohr vorsichtig wieder aus der Hand.
»Woher hast du das alles?« fragte sie.
»Esss gibt eine Waffenkammer«, antwortete Hrhon.
»Dha issst nhoch mehrrr.«