»Wenn, ja«, bestätigte Karan ungerührt. »Aber das hat sie nicht. Wäre es so, wäre sie längst hier. Du vergißt, daß du seit drei Tagen Karans Gast bist.« Er hob rasch die Hand, als Tally auffahren wollte. »Überlege selbst, Tally – Weller hat Karan erzählt, wie du mit Jandhi zusammengetroffen bist. Sie wird Verdacht geschöpft haben, doch wäre dieser Verdacht Gewißheit gewesen, wäret ihr niemals hierher gekommen.«
Er schüttelte abermals den Kopf, um seine Worte zu bekräftigen. »Karan nimmt dir den Versuch nicht übel, ihn zu überlisten«, sagte er ernst. »Er wäre überrascht, hättest du es nicht getan, denn er weiß, daß dir viel daran liegt, in den Schlund zu gehen. Doch du kannst nicht hier bleiben. Wenn es die
»Ich hoffe, du täuschst dich nicht«, sagte Tally, sehr scharf, aber ohne die mindeste Spur einer Drohung.
»Was soll geschehen?« fragte Karan ruhig. »Sie werden kommen und nach dir fragen, und Karan wird sagen, was war – daß eine verletzte Frau bei ihm war und um Hilfe bat. Er wird sagen, daß sie ihn bat, sie in den Schlund zu führen, und daß er ihre Bitte abschlug. Sie werden wieder gehen.«
»Und... wir?« fragte Weller.
»Karan kennt Wege aus der Stadt, die selbst den
»Sie werden dich töten, Karan«, sagte Tally ernst.
»Glaube mir. Du kannst sie nicht belügen. Sie... sie haben Hornköpfe, die das merken. Ich selbst bin einem solchen Wesen begegnet.«
Aber Karan schien ihre Worte nicht zu hören. Entschieden schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er. »Du wirst gehen und dein Freund auch. Es bleibt euch überlassen, ob ihr Karans Hilfe annehmen wollt. Aber gehen werdet ihr. Jetzt.«
Tally preßte wütend die Lippen aufeinander. Sie wußte, daß ihre letzte Chance dahin war, die letzte Möglichkeit, Karan zu überzeugen, schlimmstenfalls zu zwingen, wenn sie auch selbst nicht wußte, wie. Aber nicht einmal mehr dieser letzte Ausweg war ihr geblieben.
Tally tauschte einen fast verzweifelten Blick mit Weller. Aber auch er war so ratlos wie sie. Zum erstenmal, seit sie zusammengetroffen waren, glaubte sie
Sie wollte noch etwas sagen, sich in einem letzten, verzweifelten Versuch an Karan wenden, von dem sie schon vorher wußte, daß es vergebens sein würde, aber in diesem Moment erscholl über ihren Köpfen ein splitterndes Krachen und Bersten, und Augenblicke später hörten sie schwere, polternde Schritte die Treppe hinunterkommen.
Karan rührte sich nicht, aber Jan und Weller fuhren wie ein Mann herum und griffen nach ihren Waffen, und auch Tally legte die Hand auf das Schwert, während sie sich zur Tür wandte.
Einen Augenblick später erschien ein vierhundert Pfund schweres Paket aus Muskeln und Panzerplatten am Ende der Treppe, walzte wie eine lebende Lawine auf Tally zu und begann hektisch mit den Armen zu wedeln, noch ehe sie vollends zum Stehen gekommen war.
»Hrhon!« rief Tally überrascht. »Was –«
»Ghefahr!« unterbrach sie der Waga. »Du mussst fliehehn! Sssie khommen!«
»Was tut dieses Ding in Karans Haus?« fragte Karan scharf. »Schick es fort, Tally! Karan befiehlt es!«
»Gut gespielt«, fügte Weller hinzu. »Kompliment, Waga.«
Tally seufzte nur.
Hrhon starrte sie der Reihe nach aus seinen kleinen, ausdruckslosen Schildkrötenaugen an. »Ssseid ihr ahllhe vohn Sssinnen?« lispelte er. »Ihr ssseid ihn Gehefhar! In whenigen Augenblicken isst die Ssstadtgarde hier: Isss konnte sssie nissst aufhhalten. Esss sind sssu vhiele!«
»Spar dir deinen Atem, Hrhon«, sagte Tally lächelnd.
»Karan hat den Schwindel durchschaut. Er –« Sie verstummte mitten im Wort, starrte Hrhon einen Herzschlag lang verstört an und fuhr dann mit einem Ruck um.
»Was soll das heißen, Jan?« fragte sie. »Ich denke, du hast ihm meine Nachricht nicht gebracht?!«
Jan antwortete nicht. Statt dessen blickte er verdutzt von dem Waga auf das zu einem Ball zusammengeknüllte Pergament, das er noch immer in der linken Faust hielt, und wieder zurück.
»Whiessso Ssswindedl?« zischelte Hrhon aufgeregt.
»Versssteht ihr dhenn nhicht? Sssie kohmmen!«
»Beim Schlund, ich glaube, das Fischgesicht spricht die Wahrheit«, flüsterte Weller. Er war noch blasser geworden.