Devi stand immer noch blass in der Tür und starrte mich an. Mit besorgter Miene trat ich einen Schritt vor und legte ihr eine Hand auf den Arm. Halbwegs erwartete ich, dass sie vor mir zurückweichen würde, doch stattdessen starrte sie einfach nur meine Hand an.
»Ich warte immer noch auf einen witzigen Spruch«, neckte ich sie. »Normalerweise bist du schneller.«
»Ich glaube, ich bin dir gerade nicht gewachsen, was witzige Sprüche angeht«, erwiderte sie.
»Gewachsen warst du mir nie«, sagte ich. »Aber ein kleines Geplänkel haben wir doch immer noch hingekriegt.«
Devi zeigte die Andeutung eines Lächeln, und in ihre Wangen kehrte ein wenig Farbe zurück. »Du bist doch echt ein Dummschwätzer vor dem Herrn«, sagte sie.
»Na bitte, geht doch«, sagte ich aufmunternd und zog sie aus der Tür ins helle Licht des Herbstnachmittags. »Wusste ich’s doch, dass du das noch kannst.«
Wir gingen in ein Wirtshaus um die Ecke, und mit Hilfe eines kleinen Biers und eines üppigen Mittagessens erholte sich Devi von dem Schock, mich lebend gesehen zu haben. Bald war sie wieder so scharfzüngig wie eh und je, und beim Glühwein nahmen wir unser übliches Geplänkel wieder auf.
Anschließend spazierten wir zurück zu ihren Räumen über der Metzgerei, wo Devi feststellte, dass sie komplett vergessen hatte, ihre Tür abzuschließen.
»Grundgütiger Tehlu«, sagte sie, als wir drinnen waren, und schaute sich hektisch um. »Das ist mir wirklich noch nie passiert.«
Ich ließ ebenfalls den Blick durch den Raum schweifen und stellte fest, dass sich dort seit meinem letzten Besuch nicht viel verändert hatte. Bloß das zweite Bücherregal war nun fast schon zur Hälfte gefüllt. Ich überflog die Titel, während Devi in den anderen Zimmern nachsah, ob etwas fehlte.
»Möchtest du dir irgendwas davon ausleihen?«, fragte sie, als sie wiederkam.
»Nein, ich habe eher dir etwas mitgebracht«, antwortete ich.
Ich stellte meinen Reisesack auf ihren Schreibtisch und zog ein flaches, rechteckiges Päckchen daraus hervor, das in Öltuch eingeschlagen und mit Bindfaden verschnürt war. Dann verfrachtete ich den Reisesack wieder auf den Fußboden, legte das Päckchen auf den Schreibtisch und schob es Devi hin.
Sie kam mit skeptischem Blick an den Tisch, setzte sich und öffnete das Päckchen. Es enthielt die Ausgabe des
Devi betrachtete das Buch. »Und wofür ist das?«, fragte sie.
Ich lachte. »Das ist ein Geschenk.«
Sie musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. »Wenn du glaubst, dass ich dir deshalb dein Darlehen verlängere …«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich dachte bloß, es würde dir gefallen«, sagte ich. »Und was das Darlehen angeht …« Ich zog meinen Geldbeutel hervor und zählte ihr neun Talente auf den Tisch.
»Na so was«, sagte Devi verblüfft. »Da scheint ja jemand eine gewinnbringende Reise gemacht zu haben.« Sie sah mich an. »Willst du damit nicht lieber warten, bis du deine Studiengebühren bezahlt hast?«
»Das ist bereits erledigt«, sagte ich.
Devi machte keine Anstalten, das Geld anzunehmen. »Ich möchte aber nicht, dass du vollkommen pleite ins neue Trimester gehst«, sagte sie.
Ich wog meinen Geldbeutel in der Hand. Er war immer noch prall gefüllt und gab ein geradezu melodisch klingendes Klimpern von sich.
Devi zückte einen Schlüssel, öffnete damit eine Schreibtischschublade und zog mein Exemplar von
Sie legte alles nebeneinander auf den Tisch, rührte die Münzen aber immer noch nicht an. »Dir bleiben noch zwei Monate, erst dann sind ein Jahr und ein Tag vergangen«, sagte sie. »Bist du wirklich sicher, dass du nicht lieber noch abwarten willst?«
Verwundert sah ich das Geld auf dem Tisch an und blickte mich dann im Raum um. Mir ging etwas auf, als würde sich in meinem Geist ein Blütenkelch entblättern. »Hier geht es überhaupt nicht um Geld, nicht wahr?«, sagte ich und war sehr erstaunt darüber, dass ich so lange gebraucht hatte, das zu begreifen.
Devi neigte den Kopf zur Seite.
Ich deutete auf die Bücherregale, auf das große Himmelbett mit den Samtvorhängen und schließlich auf Devi selbst. Ich hatte das nie bemerkt, aber ihre Kleider waren zwar nicht modisch, was Schnitt und Stoff anging jedoch so fein wie die einer Adligen.
»Es geht gar nicht um Geld«, sagte ich noch einmal. Ich sah hinüber zu ihren Büchern. Ihre Sammlung musste mindestens fünfhundert Talente wert sein. »Das Geld gebrauchst du nur als Köder. Du leihst es Leuten, die sich in einer Notlage befinden und die dir später einmal nützlich sein könnten, und dann hoffst du, dass sie es dir nicht zurückzahlen können. In Wirklichkeit handelst du mit Gefälligkeiten.«