Wir haben eine neue Wohnung, nur für unsere Familie. In die alte kam dreimal die Polizei. Die trägt hier Grün und ist auch sonst anders als bei uns, sie legt die Hand an den Pistolengriff und will keinen Schnaps. Sie sieht nicht nur ernst drein, sie meint es auch so und dreht dir schon mal den Arm auf den Rücken, wenn du dich ihr, wie Čika Zahid, zu schnell näherst. Wir bekamen Fristen und ließen sie verstreichen, weil wir nicht wussten, wohin. An dem Morgen, bevor die Polizisten zum letzten Mal und zahlreicher als sonst an der Tür nicht klingelten, sondern fest klopften, sagte mein Vater: wir ziehen um. Er aß sein Brot zu Ende, und wir packten. Ich habe was für uns, sagte er, der Vermieter holt noch sein Sofa ab. Dann können wir rein.
In der neuen Wohnung haben wir viel mehr Platz und sind weg von all dem Schmutz und Tratsch und Krach und dem Pfeifen der Autobahn und dem Gefühl, dass man nie im Leben entfernter sein könnte von einem Zuhause. Asija, wo ist dein Zuhause? Ich habe keine Ahnung, wo du bist. Gibt es in Sarajevo überhaupt noch Adressen?
Ich habe Višegrad angerufen. Bis auf Oma Katarina und Zoran habe ich niemanden erreicht. Oma Katarina redet viel über früher. Wir hören ihr zu, wir widersprechen ihren Erinnerungen nicht, wir sagen: gut, Oma.
Erinnerst du dich an Zoran? Ein Freund aus Višegrad, ein schweigsamer Rebell! Er sagt, die Stadt ist voller serbischer Flüchtlinge. Sie wohnen in der Schule oder haben sich einfach die leeren Häuser und Wohnungen von den vertriebenen Bosniaken genommen. Und die sind vielleicht jetzt in den serbischen Wohnungen. Am Ende wird niemand dort sein, wo er vorher war. Auch in unserem Haus lebt eine Familie. Oma sagt, das sei in Ordnung, weil sie kleine Kinder haben. Zoran sagt, die Višegrader können die Neuen nicht ausstehen, er selbst hasse sie, so viel gesprochen hat Zoran noch nie, Zorans Hass ist groß.
Schalke 04 ist meine Lieblingsmannschaft, ich habe einen Angelschein und mein bester Freund hier, Philipp, hat mir »Sensible Soccer« ausgeliehen, ich höre Nirvana und träume auf Deutsch. Ich träume von einem PC, damit ich Sensible Soccer wirklich spielen kann und Philipp nicht anlügen muss, wie viele Tore ich gegen Brasilien geschossen habe.
Ich lasse mir das Haar wachsen.
Viele herzliche Grüße,
Aleksandar.
Hallo. Wer? Aleksandar! So was, woher rufst du an? Nicht schlecht! Beschissen, und selbst?