Читаем Wie der Soldat das Grammofon repariert полностью

Wenn man mich fragt, woher ich komme, sage ich, das sei eine schwierige Frage, weil ich aus einem Land komme, das es dort, wo ich gelebt habe, nicht mehr gibt. Hier nennt man uns Jugos, auch die Ungarn oder die Bulgaren nennt man Jugos, das ist einfacher für alle.

Ich habe mein erstes Zeugnis bekommen, noch ohne Noten, außer in Mathe, aber die ist nicht der Rede wert. Es reicht zu sagen, dass mein Vorsprung sehr schnell geschmolzen ist. In Deutsch mussten wir einen Aufsatz zum Thema »Essen, ich habe dich gern« schreiben, und ich schrieb, wie man bei uns Börek macht. Jeder las seinen Aufsatz laut vor, und als ich dran war, lachte sich die Klasse schlapp. Dazu musst du wissen, dass Essen »hrana« bedeutet. Ich wusste das, aber da ich an der Stadt Essen gar nichts gerne habe, schrieb ich eben über das Hackfleisch und den Yufka-Teig. Das war ziemlich schwierig, weil ich das Wort für Hackfleisch nicht kannte, und versuch mal jemandem Hackfleisch zu erklären! Die anderen Schüler aus Bosnien kopierten das Rezept und nahmen es mit nach Hause, weil sie der Meinung waren, dass Zwiebeln nicht reinmüssen und dass man Blätterteig nehmen soll. Josip und Tomislav, zwei Jungs aus Kroatien, meinten, bei ihnen gäbe es gar kein Börek. Kannst du dir das vorstellen, Asija? Ein börekloses Land?

Asija, ich vermisse die launische Drina. Hier gibt es angeblich auch einen Fluss, die Ruhr, aber ich finde, nicht jedes Wasser, das fließt, muss gleich Fluss genannt werden.

Gestern spielte ich Stadt-Land-Fluss mit Philipp, Sebastian und Susanne und wurde mit Duisburg, Deutschland, Drina, »Drachenmaul«, Dragan, Deutschlehrer, Dalmatiner nicht Letzter. »Drachenmaul« könnte ich dir gar nicht übersetzen. Gestern ist mir auch zum ersten Mal ein Wort auf Bosnisch nicht eingefallen, »Birke«, ich musste es nachschlagen: »breza«. Birken wachsen hier in einem Park, den man Kruppwald nennt. Ganz Essen ist eigentlich eine Riesengarage und man möchte dem Unkraut zwischen den Bordsteinen danken, dass es hier aushält.

Birke und Drachenmaul und Wechselblütiges Tausendblatt und Enzian und die Ruhr. Ich merke mir das alles, Asija. Ich sammle die deutsche Sprache. Sammeln wiegt die schweren Antworten und die schweren Gedanken auf, die ich habe, wenn ich an Višegrad denke, und die ich ohne Opa Slavko in der Nähe nicht aussprechen kann. Du kanntest Opa Slavko nicht, er wäre der Einzige gewesen, der dein Haar hätte erklären können.

Am Morgen ihrer Rückkehr nach Višegrad hat mir Oma ein leeres Buch geschenkt. Die erste Seite hat sie selbst beschrieben. Neben der Geschichte von Andrić, in der Aska den Wolf schwindelig tanzt und so mit dem Leben davonkommt, ist diese eine Seite von meiner Oma das Hochgeschätzteste, das ich jemals gelesen habe.

Asija, ich erinnere mich nicht an die Birken. Es kommt mir vor, als wäre ein Aleksandar in Višegrad und in Veletovo und an der Drina geblieben, und ein anderer Aleksandar lebt in Essen und überlegt sich, doch mal an die Ruhr angeln zu gehen. In Višegrad, bei seinen unfertigen Bildern, gibt es einen angefangenen und nicht zu Ende gebrachten Aleksandar. Nicht ich bin mehr Chefgenosse des Unfertigen, das Unfertige ist mein Chefgenosse. Ich male nichts Unfertiges mehr. Ich schreibe in Omas Buch Geschichten von der Zeit, als alles gut war, damit ich später nicht über das Vergessen klagen kann. Wäre ich Fähigkeitenzauberer, Asija, würden die Erinnerungen schmecken wie damals das Stela-Eis.

Erinnerst du dich an mich?

Aleksandar.

8. Januar 1994

Liebe Asija, Nancy Kerrigan wurde beim Eislauf-Training mit einer Eisenstange am Knie verletzt. Ihre Konkurrentin Tonya Harding ist in das Attentat verstrickt. Das kam gerade in den Nachrichten, und meine Mutter verließ wütend das Wohnzimmer. Anschließend kam Somalia. Somalia und Bosnien, das ist jetzt alles gleich, nur dass es bei uns keine schwarzen Kinder mit kurzem Haar und geschultertem Gewehr gibt. Und kein Öl, sagt Onkel Bora.

Meine Mutter hat sich »Magie auf dem Eis 1 – 6« gekauft, sechs Video-Kassetten mit Porträts aller Stars und Berichten von irgendwelchen Eiskunstlauf – Meisterschaften und Olympiaden – auch Sarajevo ist dabei. Abends sitzt sie vor dem Fernseher und murmelt: Rittberger, Salchow, Lutz und Toeloop, doppelt und dreifach. Manchmal schaltet Nena Fatima den Fernseher aus und versteckt die Kassette. Und Mutter sitzt immer noch da und sagt: Axel, Flip. Ihre Hände sind von der Wäscherei dermaßen kaputt, dass ich kein anderes Wort dafür finde als kaputt.

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