Читаем Wie der Soldat das Grammofon repariert полностью

Wenn man mich heute fragt, was meine Mutter von Beruf ist, sage ich meistens: müde. Am müdesten ist man, wenn man immer zu viel arbeitet und immer nur davon spricht, dass man immer zu viel arbeitet. Arbeit macht alt. Meine Eltern kommen von der Arbeit nach Hause und reden über die Arbeit. Vater zieht sein Hemd aus und wäscht sich im Bad die Füße. Er arbeitet in einer Fabrik, in der Holz zu Möbeln gehauen wird, ist aber leider kein Holzfäller, sondern sitzt zwischen Taschenrechnern in einem Zimmer mit Tischkalender und trägt ein Hemd. Zu Hause trägt er nie Hemden und arbeitet in seinem Atelier, nennt das aber nicht Arbeit. Er sagt, er kann Zahlen noch weniger ausstehen als unsere Regierung. Vater putzt seine Brille und verzieht das Gesicht, wenn er aus kurzer Distanz auf den Brillengläsern nach Flecken sucht. Wenn ich so alt bin wie er, habe ich sein graues Haar an den Schläfen. Wenn ich so alt bin wie meine Mutter, werde ich auch eine Stunde lang ununterbrochen von Sorgen erzählen können, nur werden das nicht meine eigenen sein. Mutter hatte eigentlich Eiskunstläuferin werden wollen. Jetzt läuft sie sich in unserem Gericht müde. Sie sagt: diese Gesetzgebung ist fast schon sympathisch, so unbeholfen ist sie. Abends schmiert sie Brote für die Arbeit: Ich schmiere dann mal die Brote für die Arbeit – immer sagt sie genau diesen Satz, das ist wie Vaters Füßewaschen. Ich frage mich, warum sie die Butter nicht für sich und Vater aufs Brot streicht. Eine Arbeit, rief ich einmal, muss doch nichts essen, und meine Mutter antwortete: dochdoch, mich frisst sie Tag für Tag.

Über die praktische Umsetzung marxistischer Ideologie, den Selbstverwaltungssozialismus, Titos Außenpolitik oder wie man einen Fisch am besten ausnimmt, hatte ich immer am liebsten mit Opa gesprochen. Mit meinem Vater waren solche Unterhaltungen sehr schwierig. Er neigte dazu – wenn er überhaupt Lust hatte, mit mir zu reden –, sich alles Mögliche auszudenken, um sich seine Inkompetenz nicht anmerken zu lassen. Anstatt über Jugoslawien, sprach er von einem namenlosen Königreich, in dem es Wörter für Dinge gibt, die nicht existieren, und Dinge gibt, für die keine Wörter existieren dürfen. Wenn jemand ein Wort für etwas erfindet, das sonst namenlos in der Welt herumsteht, wird er zur Strafe auf eine Insel geschifft, die ebenfalls keinen richtigen Namen trägt und deswegen »die nackte Insel« genannt wird.

Gute Geschichten erzählen zu können wird vererbt, aber überspringt schon mal eine Generation.

In unseren Schulbüchern lebte Tito am längsten. Geschichte, Serbokroatisch, nicht einmal Mathe kam ohne ihn aus. Die Entfernung von Jajce nach Bihać beträgt 160 Kilometer. Ein Yugo fährt mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h von Jajce nach Bihać. Zur gleichen Zeit läuft unser Josip Broz Tito mit einer gleich bleibenden Geschwindigkeit von 10 km/h von Bihać nach Jajce. Bei welchem Kilometer treffen sie sich?

Um meine völlige Ahnungslosigkeit in dieser Sache zu übertünchen, empörte ich mich, es sei wohl ganz klar, dass ein Yugo und ein Tito gar nicht auf der gleichen Straße sein können, da doch alles abgesperrt wäre, wenn unser Präsident einen Spaziergang gemacht hätte. Eine Sicherheitsvorkehrung, fügte ich hinzu, die ich sehr begrüße.

Aber Mathelehrer sind da unerbittlich.

Über Titos Leben im Geschichtsbuch ärgerte sich einmal ein neuer Lehrer so laut, dass man ihn aus dem Zimmer des Schuldirektors auf dem Flur hören konnte. Ich bin ein Historiker !, schrie er, kein Märchenonkel!

Ich erzählte Opa Slavko vom Historiker, und am nächsten Tag holte Opa mich von der Schule ab, mit Brille, mit Mantel, mit Gehstock, den er gar nicht brauchte, mit Hut und seinen unzähligen Parteiorden. Zuvor hatte man auf dem Flur die Stimme meines Opas gehört, die des Historikers nicht.

Auch in den Fernsehsendungen lebte Tito sein drittes Leben. Die Partisanenfilme wurden so oft gezeigt, dass ich bei einigen mitsprechen konnte. Mein Lieblingsfilm heißt »Schlacht an der Neretva«. Die Neretva ist nur fast so grün wie die Drina, und ihre schönste Brücke in Mostar hat zehn Bögen weniger als unsere Brücke. In Mostar war ich letztes Jahr mit meiner Klasse. Männer sprangen von der ziemlich hohen Brücke in die Neretva und alle klatschten. In dem Film springt ein ganzes Heer von Typhuskranken in den Fluss. Ihr Anführer ruft: mir nach, Typhuskranke, übers Wasser in die Freiheit ! Dann ertrinkt er. Ein anderer Spruch aus der »Schlacht«: Unser Volk singt auch, wenn es getötet wird. Hätte Marx diesen Film gesehen, wäre ihm vielleicht ein trauriger Satz eingefallen.

Ich wasche mir die Hände vor dem Essen, damit ich keinen Typhus bekomme.

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