In meinem Zweitlieblingsfilm jagen Bergmänner mit einer unglaublichen Menge an Dynamitstangen eine unglaubliche Menge Nazis in die Luft. Kumpel bleiben in der Mine wie Matrosen auf dem Grund der See, sagt einer der Bergleute. Ein deutscher Soldat sieht in die Ferne und sagt: und doch sind wir die Schuldigen. Weil wir naiv waren und schwach. Die Schwachen gehören nicht in die Geschichte. Nur eines tut mir Leid: dass ich als Soldat sterben werde und nicht als Bergmann.
Tito lebte auch auf Gedenkfeiern, Kundgebungsfeiern und Feiertagsfeiern. Auf düsteren Treffen älterer Männer mit ungebügelten Hemden und Frauen mit gefärbten Dauerwellen in verrauchten Hinterzimmern, wo ich in Begleitung meiner Mutter endlose Stunden verbrachte. Man aß Schinken und murrte, die Zeiten früher, die Zeiten früher, ja, das waren Zeiten früher. Sogar Opa Slavko wurde dort zänkisch, beschwerte sich über dies und jenes und kam mir, so nörgelnd, so schlecht gelaunt, zehn Jahre grauer vor als sonst. Ich hustete und hatte am nächsten Morgen rote Augen.
Letztes Jahr im Sommer, zwei Wochen nach Opas Tod, weigerte ich mich zum ersten Mal, mit meiner Mutter auf ein Treffen irgendwelcher Ehemaligen im Keller der Stadtbibliothek zu gehen. Opa muss auch nicht mehr hin! Ich blieb stur, und Mutter sah nicht enttäuscht, sondern erschrocken aus. Sie zog sich an, malte sich vor dem Schlafzimmerspiegel die Fingernägel rot und schloss dann die Schlafzimmertür. Als sie mich zum Abschied umarmte, roch sie nach Wein. Ich zeichnete unsere Fahne mit dem fünfzackigen Stern und musste die ganze Zeit an Mutters rote Nägel denken. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Ich klopfte so lange an die Ateliertür, bis mein Vater zugab, dass er zu Hause war und versprach, Mutter mit mir abzuholen.
Im Bibliothekskeller hing die jugoslawische Fahne an einem Heizungsrohr, ein Mann mit Brille auf der Nasenspitze las laut aus einem Riesenwälzer. Das Grammofon schaltete trotzdem niemand aus. In den Käsewürfeln auf den Tellern steckten Zahnstocher, sie trugen kleine, selbstgemachte Fähnchen mit Titos Porträt. Meine Mutter tippelte mit der Hand zum Rhythmus der Musik. Sie war die einzige Frau im Raum und die einzige Person unter sechzig. Auf dem Weg von unserem Haus hierher hatte sie sich eine neue Frisur gemacht. Vater blieb am Eingang stehen und spielte mit dem Autoschlüssel. Als sie uns bemerkte, stand Mama langsam auf und griff nach ihrer Tasche. Sie verabschiedete sich von niemandem. Niemand verabschiedete sich von ihr. Jemand hustete, ein anderer stand auf und drehte die Platte um. Das war Mutters letztes Treffen. Ich konnte nicht erkennen, ob sie besonders glücklich oder besonders traurig darüber war, sie hörte einfach auf, hinzugehen, wie ich vielleicht irgendwann aufhören werde, zu wachsen. Und sie hatte auch keine neue Frisur im Bibliothekskeller. Im rauchbewölkten Licht sah meine Mutter einfach nur ganz anders aus.
Und geblieben waren auch Bilder über Bilder von Tito – in Büros, in Schaufenstern, in Wohnzimmern neben den Familienporträts, in den Schulen. Tito auf einer Yacht, Tito hinter dem Rednerpult, Tito mit einem Mädchen, das ihm Blumen überreicht. Tito Hand in Hand mit E. T. gab es als Puzzle. Als man dann die Bilder aus den Klassenräumen entfernte, starb Tito zum dritten Mal. Genosse Jelenić, genannt Fizo, blieb ein Genosse und ließ als einziger Lehrer an diesem ersten Schultag Titos Porträt an der Wand – Admiralsuniform und Schäferhund. Fizo postierte sich grußlos hinter sein Pult, setzte die Brille auf und trug etwas in unser Klassenbuch ein. Jeder legt ein Arbeitsheft und ein Formelheft an, sagte der strengste Lehrer der Schule, ohne aufzusehen, das wird ein schwieriges Jahr.
Herr Fazlagić, Nicht-mehr-Genosse-Lehrer, entfernte damals nicht nur Titos stählerne Stirn im vergoldeten Rahmen, sondern sogar die rote Fahne aus der Glasvitrine, die bei jeder Schulparade am Kopf des Schülerzuges getragen wurde. Nach meiner Frage, ob nicht wir Pioniere Tito sauber machen könnten, begann er mit großem Ernst eine lange, ernste Rede: das ist eine ernste Angelegenheit, Aleksandar Krsmanović, und deine Ironie höchst unpassend! Ernsthafte Veränderungen im System gehen vor. Die neue Titulatur und die Beseitigung der Überbleibsel des Personenkultes sind ernst zu nehmende Bestandteile des Demokratisierungsprozesses! Die Lehrerlippen bewegten sich weiter, der Lehrermund reihte einen langen Satz an den anderen. Das Bild setzte Herr Fazlagić mehrmals ab und schüttelte seine Arme durch. Anstatt es aber stehen zu lassen, hob er es jedes Mal wieder auf und hielt es, während er weitersprach, bis zur Pause in den Händen.