Das stimmt, das kann ich bestätigen, Danijela mit dem sehr langen Haar hat bei meinen Gänseblümchen einen Furcht erregenden Lachanfall bekommen.
Zoran schnappt sich den Besen und kehrt die Schalen vor den Stufen zusammen. Ein Schlaks wie sein Vater, lange Arme, lange Beine, gedrungener Oberkörper. Das Haar über den Ohren ungekämmt, dicht. Die abgetragene Jeansjacke seines Vaters zieht er selbst bei größter Hitze nicht aus. Das Reisig kratzt über den Asphalt, das einzige Geräusch in der nachmittäglichen Stille.
Mutter und ich haben telefoniert, sagt Zoran und holt mit dem Besen aus. Sie sagt, sie kann nicht zurück. Wegen der Leute. Was die Stadt redet. Dass das alles nicht stimmt. Ich soll zu ihr nach Sarajevo ziehen.
Und was sagst du?
Zoran zieht Schleim in den Hals, mit einem harten, kratzenden Geräusch, und spuckt auf den Boden. Ich sage: gut, Mutter, ganz wie du willst, aber das, was ich dir zu sagen hätte, das ist schlimmer als das, was die Leute reden. Deswegen ziehe ich niemals zu dir und deswegen ziehst du niemals zu mir – weil ich es dir jeden Tag bis ans Ende des Lebens sagen würde und ich jeden Tag sehen müsste, wie sich dein Hühnchenschädel bewegt, wenn du mir antwortest.
Die Ladenglocke bimmelt, Meister Stankovskis Glatze erscheint im Türspalt. Zoran – Pause, nicht Ferien!
Komme, sagt der und lehnt den Besen an das Geländer. Das Klacken der Hufe ist zu hören. Musa Hasanagić führt Karfiol, seine Stute, an den Zügeln über den Platz. Zoran und er begrüßen sich mit Handschlag. Musa nimmt seinen Zylinderhut ab, und Zoran fährt der Stute über den weißen Fleck auf der Stirn.
Viele Geschichten kennt Zoran nicht. Das kommt daher, weil ihm im eigenen Leben etwas so Unglaubliches passiert ist, dass er nichts mehr erfinden muss. Wie sich sein betrogener Vater an Bogoljub Balvan rächt – davon kann er immer wieder erzählen. Manchmal dauert die Erzählung keine zwei Minuten – Tetris wird nicht gespielt und nichts in den Fluss geworfen, Zorans Vater poliert den ganzen Tag seine Flinte und weint auf die Flinte und poliert das dann weg und weint und poliert. Sie endet so, dass Zoran ihn auf den Knien bittet, den Lauf wieder aus dem Mund zu nehmen.
Zoran und Musa verabschieden sich ernst, auch mir gibt Zoran die Hand, nickt und verschwindet im Inneren des Ladens. Ich mache mich auf den Weg nach Hause. Ein Reisebus biegt hinter mir um die Kurve, der Fahrer trägt eine Mütze. Der Schnurrbart, die langen Arme, die langen Finger am Lenkrad, das dunkle Haar, das ihm unter der Mütze hervorlugt und über den Ohren liegt. Genau wie seinem Sohn.
Gibt es irgendwo Geschichten, bin ich sofort irgendwo.
Wie gelangte aber der einst gefürchtete Dreierschütze und nicht so gute Flintenschütze, Milenko Pavlović, genannt Walross, hinter das Lenkrad? Und sollte ich nicht sofort zum Laden zurückgehen und Zoran berichten, dass sein Vater wieder da ist, dieses Mal nicht zu früh, eher ein Jahr zu spät?
Wann etwas ein Ereignis ist, wann ein Erlebnis, wie viele Tode Genosse Tito hat und wie der ehemals gefeierte Dreierschütze hinter das Lenkrad eines Centrotrans-Busses gelangt
Ein Ereignis ist es, wenn Herr Fazlagić in unser Klassenzimmer stürmt. Der pünktliche Herr Fazlagić rast mit einem triefend nassen Schwamm an die Tafel, als sei er nicht Lehrer, sondern Feuerwehrmann, der eine brennende Tafel löschen will. Da wir täglich Serbokroatisch haben, rückt Herr Fazlagić jeden Tag aus, um die Tafel zu löschen und mit tausend Beispielsätzen unsere Rechtschreibung zu retten. Herr Fazlagić ist vielleicht ein guter Feuerwehrlehrer, genau weiß man das nicht, denn bei den meisten von uns bleiben seine Rettungsversuche wirkungslos. Wir werden, allen Herren Fazlagićs dieser Welt zum Trotz, ć und č niemals unterscheiden können, und die Tafel hat auch nie gebrannt.
Edin und ich haben es mehrmals versucht. Erst mit Matheheften, dann mit einer halb vollen Cola-Flasche Benzin, die Edin aus der Garage seiner Mutter mitgebracht hatte. Ich blieb skeptisch: so eine Tafel ist gar nicht aus Holz, und wie viel Benzin brauchst du, um eine Messingtafel anzuzünden? Eine Tankstelle könntest du auf Messing kippen, trotzdem brennt Messing nicht, sagte ich, und wiederholte das Wort Messing so oft, bis Edin die Benzincola ins Licht hielt, die Augen zusammenkniff und, stimmt ja eigentlich, nickte. Mit Messing kannst du Glas schneiden und Glas brennt auch nicht, warum also sollte Messing brennen, lass uns das Zeug an Čika Spok verkaufen oder einen Frosch anzünden.
Benzin ist Alkohol und Čika Spok ein Säufer, wie ihn jede Stadt braucht. Mit Daumen am Ohr und dem kleinen Finger an den Lippen telefoniert Čika Spok bis tief in die Nacht mit den Sternen; er schmeichelt dem großen Bären und verspricht: eines Tages hab ich eine Waffe, die ist so stolz, damit erleg ich dich und schneider mir eine Sternbärenmütze.