»Bitte gehen Sie jetzt«, sagte Hilary direkt in Smileys Gesicht. Smiley beugte sich auf dem Korbsofa vor und stellte seine letzte Frage. Er stellte sie scheinbar zögernd, fast widerwillig. Sein weiches Gesicht war hart geworden vor Entschlossenheit, aber die Härte vermochte die Zeichen der Drangsal nicht zu tilgen. »Erinnern Sie sich an eine Geschichte, Con, die der alte Wladimir oft erzählte? Und die wir niemals weitererzählten? Die wir hüteten, wie ein Kleinod? Daß Karla eine Mätresse habe, eine Frau, die er liebe?«
»Seine Ann«, sagte sie tonlos.
»Daß sie auf der ganzen Welt das einzige sei, um dessentwillen er zu hirnverbranntem Handeln fähig wäre?«
Langsam hob sich ihr Kopf, und er sah, wie ihr Gesicht sich aufhellte, und seine Stimme wurde rascher und dringlicher.
»Wie dieses Gerücht in der Moskauer Zentrale die Runde machte - unter den Eingeweihten? Karlas Erfindung - seine Schöpfung? Wie er sie fand, als sie noch ein Kind war und während des Krieges in einem ausgebrannten Dorf umherirrte? Sie adoptierte, aufzog, sich in sie verliebte?«
Er beobachtete sie, und trotz des Whiskys, trotz ihrer tödlichen Müdigkeit sah er die letzte Erregung, wie den letzten Tropfen in der Flasche, langsam ihre Züge noch einmal beleben.
»Er war hinter den deutschen Linien«, sagte sie. »In den vierziger Jahren. Mit einem Team, das die Balten aufwiegeln sollte. Bauten Netze auf, Widerstandsgruppen. Es war eine große Operation. Karla war der Boß. Das Mädchen wurde ihr Maskottchen. Sie schleppten sie auf Schritt und Tritt mit. Ein Kind. O George!«
Er hielt den Atem an, um jedes ihrer Worte zu erhäschen. Das Prasseln auf dem Dach wurde lauter, er hörte das anschwellende Grollen des Waldes, als der Regen auf ihn niederrauschte. Sein Gesicht war ganz nah an dem ihren; und es war, Widerwille hin oder her, vom gleichen Feuer beseelt, wie das ihre.
»Und was dann?« sagte er.
»Dann hat er sie abgemurkst, Darling. Das war dann.«
»Warum?« Er rückte noch näher, als
fürchte er, die Sprache werde ihr genau im entscheidenden Moment versagen.
»Er hatte alles für sie getan. Pflegeeltern für sie gefunden. Gute Schulen. Ließ sie zu seinem Traumweib erziehen. Spielte Daddy, spielte Liebhaber, spielte Gott. Sie war sein Spielzeug. Dann, eines schönen Tages, setzt sie sich plötzlich Flausen in den Kopf.«
»Was für Flausen?«
»Rebelliert. Verkehrt mit Scheiß-Intellektuellen. Wollen den Staat zersetzen. Fragt das große >Warum?< und das große >Warum nicht?< Er sagt, sie soll die Klappe halten. Was sie nicht tat. Sie hatte den Teufel im Leib. Er ließ sie ins Lager verfrachten. Machte sie nur noch schlimmer.«
»Und sie hatte ein Kind«, soufflierte Smiley und nahm ihre Hand in seine beiden Hände. »Ein Kind von ihm, erinnern Sie sich?« Ihre Hand war zwischen seinem und ihrem Gesicht. »Sie haben Recherchen nach dem Kind angestellt, ja? Es war Saure-Gurken-Zeit, und ich ließ Sie von der Leine. >Nimm die Fährte auf, Con<«, sagte ich, »>verfolg sie, wohin sie auch führt.< Wissen Sie noch?«
Unter Smileys beschwörendem Zuspruch steigerte sich Connies Rede zum Furioso einer letzten Liebe. Sie sprach schnell, ihre Augen strömten über. Sie verfolgte die Fährte in die Vergangenheit, stöberte in allen Winkeln ihres Gedächtnisses . . . Karla hatte dieses Mädel ... ja, Darling, das war die Story, hören Sie mich?-Ja, Connie, weiter, ich höre. Dann passen Sie auf. Er zog sie groß, machte sie zu seiner Geliebten, das Balg kam, und der Zank drehte sich um dieses Balg. George, Darling, lieben Sie mich noch, wie in den alten Tagen? - Weiter, Con, wie ging es aus, ja, natürlich liebe ich Sie. Er beschuldigte sie, sie vergifte die kostbare Seele des Kindes mit gefährlichen Ideen - wie zum Beispiel Freiheit. Oder Liebe. Ein Mädchen - das Ebenbild der Mutter -, angeblich eine Schönheit. Schließlich schlug die Liebe des alten Tyrannen in Haß um, und er ließ sein Ideal deportieren und umlegen: Ende der Geschichte . . . Wir bekamen sie zuerst von Wladimir, dann ein paar Brocken, nie etwas Verläßliches . . . Name unbekannt, Darling, weil er alle Unterlagen über sie vernichtete, jeden umbrachte, der womöglich etwas wußte, typisch Karla, hol ihn der Kuckuck, wie Darling, so war er schon immer? Es hieß auch, sie sei überhaupt nicht tot, die Geschichte von ihrer Ermordung sei gezielte Falschinformation, um die Spur zu löschen. So, sie hat's geschafft, wie? Die alte Närrin hat sich erinnert!«
»Und das Kind?« fragte Smiley. »Das Mädchen, das Ebenbild der Mutter? Es gab Aussagen eines Überläufers - worum ging es da?«