Jetzt sei Kirow an der Reihe
gewesen, die klassische Karte auszuspielen, sagte sie müde. Beim nächsten
Zusammentreffen, einen Monat später in Brüssel, kam Kirow auf die Sache mit der
Waffenlieferung nach Israel zu sprechen und sagte, er habe sie beiläufig
einem guten Bekannten gegenüber erwähnt, einem seiner Kollegen in der
Handelsabteilung der Botschaft, der an einer Studie über die israelische
Verteidigungsfinanzierung mitarbeite und für seine Recherchen sogar über einen
Spezialfonds verfügen könne. Ob Leipzig gegebenenfalls bereit wäre - nein, ganz
im Ernst, Otto! -, mit dem Mann zu sprechen oder, noch besser, seinem alten
Kumpel Oleg die Geschichte gleich hier und jetzt zu erzählen und Oleg damit
auch eine kleine Anerkennung zu verschaffen? Otto sagte: »Vorausgesetzt, es
lohnt sich und schadet niemandem.« Dann verpaßte er Oleg einen Haufen wertloser
Informationen, die Connie und die Leute von der Nahost-Abteilung vorbereitet
hatten - selbstverständlich alles wahr und absolut stichhaltig, auch wenn
niemand etwas damit anfangen konnte -, und Kirow schrieb feierlich alles auf,
obgleich beide, wie Connie sagte, genau wußten, daß weder Kirow noch sein Auftraggeber,
wer immer das sein mochte, das geringste Interesse an Israel hatten oder an
Waffen oder an Lieferungen oder an der israelischen Verteidigungsfinanzierung-
jedenfalls nicht in
»Bitte, Con«, flüsterte Smiley. »Wir haben's fast geschafft!« Sie war ihm so nah, doch er spürte, wie sie ihm immer mehr entglitt. Hilary lag auf dem Fußboden und hatte den Kopf an Connies Knie gelehnt. Connies Hände in den Pulswärmern suchten Halt in Hilarys Haar, und ihre Augen waren fast geschlossen.
»Connie!« wiederholte Smiley.
Connie öffnete die Augen und lächelte schwach.
»Es war nur der Fächertanz, Darling«, sagte sie. »Das Er-weiß-daß-ich-weiß-daß-du-weißt. Der übliche Fächertanz«, wiederholte sie nachsichtig, und ihre Augen fielen wieder zu.
»Und was hat Leipzig ihm
geantwortet?
»Er hat getan, was wir alle getan hätten, Darling«, murmelte sie. »Verzögerungstaktik. Gab zu, daß er bei den Emigrantengruppen gern gesehen sei und mit dem General ein Herz und eine Seele. Dann nichts mehr. Sagte, er komme nicht sehr häufig nach Paris. >Warum nicht einen Ortsansässigen anheuern?< sagte er. Er hat gemauert, Hils, Darling, verstehst du? Fragte wieder: Würde es irgendwem schaden? Fragte, worin eigentlich der Job bestehe? Was dabei herausspringe? Gib mir einen Schluck, Hils.«
»Nein«, sagte Hilary.
»Los.«
Smiley goß ihr zwei Finger hoch Whisky ein und sah zu, wie sie ihn schlürfte.
»Was sollte Otto bei den Emigranten für Kirow erledigen?« sagte er.
»Kirow brauchte eine Legende«, antwortete sie. »Er brauchte eine Legende für ein Mädchen.«
Nichts an Smileys Verhalten ließ erkennen, daß er diesen Satz erst vor ein paar Stunden von Toby Esterhase gehört hatte. Vor vier Jahren, wiederholte Connie, habe Oleg Kirow eine Legende gebraucht. Genau wie der Sandmann, nach Aussagen Tobys und des Generals - dachte Smiley -, heute eine Legende brauchte. Kirow brauchte eine Tarnung für eine Agentin, die man nach Frankreich einschleusen wollte. Das sei des Pudels Kern gewesen, sagte Connie. Kirow sagte das natürlich nicht; im Gegenteil, er stellte es ganz anders dar. Er erzählte Otto, Moskau habe an alle Botschaften eine geheime Anweisung ergehen lassen, des Inhalts, daß auseinandergerissene russische Familien unter gewissen Voraussetzungen im Ausland wieder zusammengeführt werden sollten. Wenn genügend Familien gefunden werden könnten, die diesen Wunsch hegten, so die Anweisung, dann wolle Moskau das Vorhaben an die Öffentlichkeit bringen und damit das Image der Sowjetunion auf dem Gebiet der Menschenrechte aufwerten. Am liebsten wären ihnen Fälle mit Gefühlsgehalt: Töchter in Rußland zum Beispiel, von ihren Angehörigen im Westen abgeschnitten, alleinstehende Mädchen, vielleicht im heiratsfähigen Alter. Geheimhaltung sei wichtig, sagte Kirow, bis eine Liste passender Fälle beisammen sei - nicht auszudenken das Geschrei, wenn die Sache vorzeitig durchsickere!