Sie waren in Mikhels Privatnische,
die er sein Büro nannte. Ein altmodisches Telefon stand auf dem Tisch neben
einer Remington Schreibmaschine aus der Gründerzeit, die gleiche, wie sie
Wladimir besessen hatte. Jemand mußte einmal eine Menge davon aufgekauft
haben, dachte Smiley. Aber das Paradestück war ein handgeschnitzter Sessel mit
gedrechselten Beinen und einem kaiserlichen Wappen, das auf die Hinterseite der
Rückenlehne gestickt war. Mikhel saß steif darauf, Knie und Stiefel zusammengepreßt,
wie ein Vizekönig, der für diesen Thron zu klein war. Er hatte sich eine
Zigarette angezündet und hielt sie wie eine Fackel senkrecht, mit dem
brennenden Ende nach oben. Über ihm hing eine Rauchwolke gleich einem
Regenschleier, genau wie Smiley es in Erinnerung hatte. Im Papierkorb bemerkte
Smiley einige weggeworfene Nummern von
Als er Mikhels glänzender Rhetorik lauschte, seine glänzenden Stiefel betrachtete, fragte sich Smiley, wie alt der Mann wohl sein mochte. Die Russen hatten, erinnerte er sich, Estland im Jahre 1940 besetzt. Wenn Mikhel damals Kavallerieoffizier gewesen war, dann müßte er heute gut und gern sechzig sein. Er versuchte den Rest von Mikhels turbulenter Biographie zusammenzubringen - der lange Weg durch fremde Kriege und mit Mißtrauen verfolgte ethnische Brigaden, alle die Kapitel der Geschichte, an denen dieser kleine Körper teilgehabt hatte. Er fragte sich, wie alt seine Stiefel sein mochten.
»Erzählen Sie mir von seinen letzten Tagen, Mikhel«, regte Smiley an. »War er aktiv bis zum Ende?«
»Völlig aktiv, Max, aktiv in jeder Beziehung. Als Patriot. Als Mann. Als Führer.«
Mit dem gleichen verächtlichen
Ausdruck, den sie vorher gezeigt hatte, stellte Elvira den Tee vor sie hin,
zwei Tassen mit Zitrone, und kleine Marzipanplätzchen. Sie bewegte sich
aufreizend, mit schwingenden Hüften und einer mürrischen Andeutung von
Herausforderung. Smiley versuchte, sich ihren Background ins Gedächtnis zu
rufen, bekam ihn aber nicht zu fassen, vielleicht weil er ihn nie gekannt
hatte.
»Und als Mitglied der Gruppe?« fragte Smiley, als sie wieder weggegangen war. »Ebenfalls aktiv?«
»Immer«, sagte Mikhel ernst.
Eine kleine Pause trat ein, als jeder höflich wartete, daß der andere fortfahren möge.
»Wer, glauben Sie, hat es getan, Mikhel? Ist er verraten worden?«
»Max, Sie wissen so gut wie ich, wer es getan hat. Wir sind alle bedroht. Ausnahmslos. Wir können jederzeit abgerufen werden. Wichtig ist nur, daß man darauf vorbereitet ist. Ich für meine Person bin Soldat, ich bin vorbereitet, ich bin bereit. Wenn ich heimgehe, hat Elvira ihre Sicherheit. Das ist alles. Für die Bolschewisten bleiben wir Exilrussen der Feind Nummer eins. Die Verfluchten. Wo sie können, zerstören sie uns. Immer noch. Wie sie einst unsere Kirchen und unsere Dörfer und unsere Schulen und unsere Kultur zerstört haben. Und sie haben recht, Max. Sie haben recht, wenn sie uns fürchten. Denn eines Tages werden wir es ihnen heimzahlen.«
»Aber warum haben sie gerade diesen Augenblick gewählt«, warf Smiley nach dieser etwas rituellen Verlautbarung sanft ein. »Sie hätten Wladimir schon vor Jahren töten können.«
Mikhel hatte eine flache Blechschachtel mit zwei kleinen wäschemangelartigen Rollen obenauf und ein Packet grobes, gelbes Zigarettenpapier zum Vorschein gebracht. Er leckte über ein Blättchen, legte es auf die Rollen und schüttete schwarzen Tabak darauf. Ein Schnappen, die Mangel drehte sich, und eine dicke, lose gestopfte Zigarette erschien auf der versilberten Oberfläche. Er wollte sie gerade in den Mund stecken, als Elvira kam und sie ihm wegschnappte. Er rollte sich eine andere und steckte die Schachtel wieder in die Tasche.
»Es sei denn, Wladimir führte etwas im Schilde«, fuhr Smiley nach dieser Drehpause fort. »Provozierte sie auf irgendeine Art -wozu er durchaus imstande war, wie wir wissen.«
»Wer kann das sagen?« fragte Mikhel und blies den Rauch sorgfältig nach oben in die Luft.