Aber er ging nicht, noch nicht.
Eine weitere Viertelstunde grub und stocherte Smiley herum, wobei er mit einem
Ohr auf verdächtige Geräusche lauschte. Er hob Dinge auf und stellte sie
wieder zurück, immer noch auf der Suche nach dem losen Dielenbrett oder der
klassischen Nische hinter den Regalen. Aber diesmal wollte
»Wenn Sie irgendetwas für Wohnung 6 B haben, dann kann ich Ihnen den Aufstieg ersparen«, sagte er bescheiden.
Der Briefträger kramte in seiner
Tasche und brachte einen braunen Umschlag zum Vorschein. Abgestempelt in Paris
vor fünf Tagen, im fünfzehnten Arrondissement. Smiley steckte ihn ein. Noch ein
Stockwerk weiter unten würde eine Tür zur Feuertreppe führen, die mit einem
Riegel gesichert und nur von innen zu öffnen war. Smiley hatte sich das beim
Hinaufsteigen im Geist notiert. Er drückte, die Tür gab nach, er klomm eine
ekelhafte Betontreppe hinab und ging durch einen Innenhof auf eine menschenleere
Hintergasse hinaus, wobei er noch immer über die Unterlassung nachgrübelte.
Warum hatten sie seine Wohnung nicht durchsucht? Die Moskauer Zentrale hatte,
wie jeder andere bürokratische Apparat, feste Prozeduren. Man beschließt, einen
Mann zu töten. Also stellt man Posten vor seinem Haus sowie auf seinem Weg auf
und setzt dann das Mörderteam an, tötet ihn. Die klassische Methode. Warum also
nicht auch seine Wohnung durchsuchen? - Wladimir, ein Junggeselle, der in einem
Haus wohnte, wo dauernd Fremde aus- und eingingen? Warum nicht die Posten
heraufschicken, sobald er sich auf den Weg gemacht hatte?
Er rief ein Taxi und sagte zum Fahrer: »Bywater Street in Chelsea bitte, an der King's Road.«
Nach Hause, dachte er. Ein Bad
nehmen, die Sache durchdenken. Rasieren.
Plötzlich beugte er sich vor, klopfte an die Trennscheibe und nannte ein neues Ziel. Als sie wendeten, hielt der Motorradfahrer kreischend hinter ihnen an, stieg ab und schob seine mächtige schwarze Maschine samt Beiwagen gemessen auf die Gegenspur. Ein Herrschaftsdiener, dachte Smiley, der ihm zusah. Ein Herrschaftsdiener, der den Teewagen hereinrollt. Mit durchgedrücktem Kreuz und ausgestellten Ellbogen folgte er ihnen wie eine offizielle Eskorte durch die Außenviertel von Camden, dann, immer noch in vorschriftsmäßigem Abstand, langsam hügelan. Das Taxi hielt, Smiley beugte sich vor, um den Fahrpreis zu entrichten. In diesem Augenblick zog die dunkle Gestalt feierlich an ihnen vorbei, die ledergepanzerte Faust salutierend aus dem Ellbogen hochgewinkelt.
8
Er stand an der Mündung der Allee und spähte in den Tunnel aus Birkenbäumen, die wie eine Armee auf dem Rückzug immer mehr im Dunst versanken. Die Dunkelheit war widerstrebend einem Stubendämmer gewichen. Es hätte schon auf den Abend zugehen können: Teestunde in einem alten Landhaus. Die Straßenlampen rechts und links von ihm waren trübe Funzeln, die nichts erhellten. Die Luft war warm und schwer. Er hatte erwartet, noch Polizisten zu sehen und eine abgesperrte Fläche. Er hatte Journalisten und neugierige Gaffer erwartet. Es ist überhaupt nie passiert, sagte er sich, als er langsam den Hang hinunterging. Ich habe den Schauplatz kaum verlassen, da hat sich Wladimir, mit dem Stock in der Hand, vergnügt aufgerappelt, sein grauenhaftes Make-up weggewischt und ist mit dem übrigen Ensemble auf ein Bierchen zum Polizeirevier geflitzt.
Während er weiterging, wurde die Allee immer dunkler und der Dunst dichter. Seine Schritte warfen ein blechernes Echo voraus. Zwanzig Yards höher brannte braunes Sonnenlicht wie ein schwelendes Freudenfeuer. Doch hier unten in der Senke hatte der Dunst sich zu einem kalten Nebel verdichtet, und Wladimir war tot, ein für allemal. Er sah Reifenspuren, wo die Polizeifahrzeuge geparkt hatten, bemerkte das Fehlen von Laub und die unnatürliche Sauberkeit des Kieswegs. Was tun sie nur? fragte er sich. Den Weg mit einem Schlauch abspritzen? Das Laub in ein paar von ihren Plastikkopfkissen kehren?