Smiley kehrte wieder in die
Gegenwart zurück. Auf dem nächsten Podest beherrschte, wie er bei seinem
einsamen Aufstieg feststellte, die Musik das Feld. Durch eine Tür kamen in
voller Lautstärke Rockrhythmen, durch die andere Sibelius und der Geruch von
gebratenem Speck. Als er durchs Treppenfenster lugte, sah er zwischen den
Kastanien zwei Männer herumlungern, die bei seiner Ankunft noch nicht
dagewesen waren. So würde ein Team vorgehen, dachte er. Ein Team würde Späher
aufstellen, während die anderen ins Haus gingen. Ein Team, das für
Auf Smileys Seite öffnete sich eine Tür, und eine alte Frau im Morgenrock erschien mit einer Katze auf der Schulter. Er konnte die Alkoholfahne von gestern abend riechen, noch ehe die Frau den Mund auftat und ihn fragte:
»Sind Sie ein Einbrecher, Herzchen?«
»Ich muß Sie leider enttäuschen«, erwiderte Smiley lachend.
»Nur ein Besucher.«
»Egal, Hauptsache, man ist gefragt, nicht wahr, Herzchen?«
»Da haben Sie recht«, sagte Smiley höflich.
Die letzte Treppe war steil und
sehr eng und erhielt echtes Tageslicht durch eine vergitterte Luke in der
Dachschräge. Auf dem obersten Podest waren zwei Türen, beide zu, beide sehr
schmal. An eine war eine maschinengeschriebene Karte geheftet: »Mr. W. Miller,
ÜBERSETZUNGEN.« Smiley erinnerte sich an das Gerangel um Wladimirs neue
Identität, jetzt, da er Londoner werden und auf Tauchstation bleiben sollte. »Miller«
war kein Problem gewesen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund fand der alte
Knabe, Miller sei großartig. »Miller,
Er klopfte kräftig, da er wußte, daß ein leises Anklopfen mehr auffällt, als ein lautes. Er hörte das Echo, sonst nichts. Kein Geräusch von Schritten, keinen plötzlich verstummenden Laut. Er rief »Wladimir« durch den Briefschlitz, als sei er ein alter Freund, der auf Besuch kommt. Er probierte einen Yale-Schlüssel aus dem Bund; der Schlüssel klemmte. Er probierte einen zweiten. Er paßte. Smiley trat in die Wohnung und schloß die Tür. Er war auf einen Schlag über den Hinterkopf gefaßt, dachte aber, ein eingeschlagener Schädel sei immer noch besser, als ein weggeschoßenes Gesicht. Er fühlte Schwindel und merkte, daß er den Atem anhielt. Der gleiche weiße Anstrich, stellte er fest, die gleiche Gefängnisöde. Dieselbe merkwürdige Stille, wie in einer Telefonzelle, und auch dieselbe Mischung von öffentlichen Gerüchen.
Genau an dieser Stelle, so erinnerte sich Smiley, standen wir drei an jenem Nachmittag. Toby und ich wie Hochseeschlepper mit dem alten Schlachtschiff zwischen uns. Das Angebot der Immobilienfirma hatte von einem »Penthouse« gesprochen.
»Hoffnungslos«, hatte Toby Esterhase, der wie immer als erster das Wort ergriff, in seinem ungarischen Französisch verkündet und sich bereits wieder zur Tür gewandt, um die Wohnung zu verlassen. »Ich meine, absolut gräßlich. Ich meine, ich hätte sie mir vorher ansehen sollen, ich Idiot«, hatte Toby gesagt, als Wladimir sich immer noch nicht rührte. »General, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Das hier ist wirklich eine Zumutung.« Smiley hatte sich im gleichen Sinn geäußert. Wir können Ihnen etwas Besseres bieten, als das, Wladi. Etwas viel Besseres. Wir dürfen nur nicht locker lassen.
Doch die Augen des alten Mannes hatten auf dem Fenster verweilt, so wie jetzt Smileys Augen, auf dem Wald von Kaminen und Giebeln und schrägen Dächern, der jenseits der Brüstung aufschoß. Und plötzlich hatte er eine behandschuhte Pranke auf Smileys Schulter fallen lassen.
»Verwenden Sie Ihr Geld lieber dazu, diese Schweine in Moskau abzuknallen, Max«; hatte er geraten.
Unter Tränen, die ihm die Wangen hinabrannen, und mit dem gleichen entschlossenen Lächeln hatte Wladimir weiter auf die Moskauer Kamine gestarrt; und auf den schwindenden Traum von einem Leben unter russischem Himmel.