Abblätternde Kastanienbäume
verdunkelten den Säuleneingang, eine narbenbedeckte Katze äugte argwöhnisch zu
Smiley hoch. Die Türklingel war ganz oben, die letzte von dreißig, aber Smiley
klingelte nicht, und als er gegen die zweiflügelige Tür drückte, schwang sie
widerstandslos auf und gab den Zugang zu den gleichen düsteren, zum Schutz vor
Graffiti-Schreibern mit einem Ölanstrich versehenen Korridoren frei, und zu
den gleichen mit quietschendem Linoleum belegten Treppen. Er erinnerte sich an
alles. Nichts hatte sich geändert, und jetzt würde sich nie mehr etwas ändern.
Es gab keinen Lichtschalter, und das Treppenhaus wurde immer dunkler, je höher
er stieg. Warum hatten Wladimirs Mörder ihm die Schlüssel nicht abgenommen?
fragte er sich, als er sie bei jedem Schritt gegen seine Hüfte schlagen fühlte.
Vielleicht brauchten sie die Schlüssel nicht. Vielleicht hatten sie bereits
ihren eigenen Satz. Er erreichte ein Podest und zwängte sich an einem
luxuriösen Kinderwagen vorbei. Er hörte Hundegeheul, die Morgennachrichten in
deutsch und die Wasserspülung aus einem Gemeinschaftsklo. Er hörte ein Kind,
das seine Mutter anschrie, dann einen Klatsch, und den Vater, der das Kind
anschrie.
Wenn wir ihn besser behandelt hätten, wäre es nie passiert, dachte Smiley. Vernachlässigte werden zu leicht umgebracht, dachte er und stellte damit, ohne es zu wissen, eine Parallele zu der Ostrakowa her. Er erinnerte sich an den Tag, als sie ihn hierher gebracht hatten, Smiley, der Vikar und Esterhase, der Postbote. Sie waren nach Heathrow gefahren, um ihn abzuholen: Toby, der mit allen Wassern gewaschene Kanalarbeiter, wie er sich selbst nannte. Obwohl Toby fuhr wie der Teufel, wären sie damals beinah zu spät gekommen. Das Flugzeug war bereits gelandet. Sie hasteten zur Zollabfertigung, und da stand er: silberhaarig und majestätisch, reglos wie ein Turm im Getümmel der gewöhnlichen Sterblichen, die auf dem Weg von der Landungshalle an ihm vorbeiströmten. Er erinnerte sich an ihre feierliche Umarmung - »Max, alter Freund, sind Sie's wirklich?« »Ja, Wladimir, ich bin's wirklich, man hat uns wieder zusammengespannt.« Er erinnerte sich, wie Toby Esterhase sie durch die Hintertüren der Einwanderungskontrolle schmuggelte, da die wütende französische Polizei dem alten Knaben, ehe sie ihn hinauswarf, die Papiere abgenommen hatte. Er erinnerte sich an das Mittagessen selbdritt bei Scott's, als der alte Knabe in seiner Euphorie sogar aufs Trinken vergessen und mit Grandezza von einer Zukunft gesprochen hatte, die, wie sie alle wußten, hinter ihm lag. »Es wird wieder genauso sein, wie in Moskau, Max. Vielleicht schnappen wir uns sogar den Sandmann.« Am nächsten Tag gingen sie auf Wohnungssuche. »Nur um Ihnen ein paar Möglichkeiten zu zeigen, General«, wie Toby Esterhase erklärt hatte. Es war um die Weihnachtszeit, und der Übersiedelungs-Etat für das laufende Jahr war aufgebraucht. Smiley hatte sich an die Finanzabteilung gewandt; Lacon und das Schatzamt um einen Nachtragshaushalt bekniet, jedoch ohne Erfolg. »Ein Schuß Realität wird ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringen«, hatte Lacon entschieden. »Machen Sie Ihren Einfluß auf ihn geltend, George. Dafür haben wir Sie wieder eingesetzt.« Der erste Schuß Realität war ein Nuttenbunker in Kensington gewesen, der zweite ging auf einen Rangierbahnhof bei der Waterloo-Station hinaus. Westbourne Terrace war der dritte, und als sie, mit Toby an der Spitze, dieselbe Treppe hinaufquietschten, die Smiley jetzt erklomm, war der alte Mann plötzlich stehengeblieben, hatte den großen gesprenkelten Kopf zurückgeworfen und theatralisch die Nüstern gebläht.
Jetzt war es selbst Wladimir aufgegangen, daß man ihn endgültig abhalftern wollte.