»Das Foto ist am dreizehnten November 2009 entstanden«, unterbricht Joona sie ungewöhnlich schroff.
»Also haben diese Schweine noch nach der Anklage gegen al-Bashir Waffengeschäfte mit dem Sudan gemacht«, sagt sie.
»Ja.«
»Sie wussten, dass die Munition in Darfur landen würde«, flüstert sie.
Joona nickt.
»Carl Palmcrona hatte in dieser Loge nichts verloren«, sagt er. »Pontus Salman hatte dort nichts zu suchen, keiner von ihnen hätte dort sein sollen …«
»Aber jetzt haben wir sie gemeinsam auf einem Foto«, erklärt Saga. »Raphael Guidi fädelt ein Riesengeschäft mit dem Sudan ein.«
»Ja«, erwidert Joona und begegnet Sagas sommerblauen Augen.
»Der richtig große Fisch war natürlich faul«, stellt Saga fest. »Das haben viele auch schon vorher gesagt und die meisten geahnt … aber die größten Fische kommen immer davon.«
Schweigend mustern sie erneut das Foto, betrachten die vier Personen in der Loge der Alten Oper, den Champagner, ihre Gesichter, die Musiker mit Paganinis historischen Instrumenten.
»Jetzt haben wir das erste Rätsel gelöst«, meint Saga und holt tief Luft. »Wir wissen, dass man auf diesem Bild sieht, dass der Sudan trotz des Waffenembargos versucht, Munition zu kaufen.«
»Palmcrona war dabei, das Geld auf seinem Konto ist mit Sicherheit Schmiergeld«, meint Joona zögernd. »Andererseits … Palmcrona hat nach der Sache mit dem Präsidenten doch gar keinen Waffenexport in den Sudan genehmigt, damit wäre er niemals durchge …«
Er verstummt, als das Handy in seinem Jackett summt. Joona meldet sich, hört wortlos zu und beendet das Gespräch. Er sieht Saga an.
»Das war Axel Riessen«, sagt Joona. »Er behauptet, dass er weiß, worum es auf dem Foto geht.«
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Ein einsamer Junge aus Bronze, ganze fünfzehn Zentimeter hoch, sitzt, die Arme um seine angezogenen Knie geschlungen, im Hinterhof der Finnischen Kirche in der Stockholmer Altstadt. Drei Meter von dem Jungen entfernt steht Axel Riessen an eine ockerfarbene Wand gelehnt und isst Nudeln aus einem Pappkarton. Er hat Essen im Mund und winkt mit den Essstäbchen, als Joona und Saga durch das Tor treten.
»Was haben Sie verstanden?«, fragt Joona.
Axel nickt, stellt das Essen auf das Fensterblech der Kirche, wischt sich den Mund mit einer Papierserviette ab und gibt Saga und Joona die Hand.
»Sie sagten, Sie hätten verstanden, worum es bei dem Foto geht«, wiederholt Joona.
Axel senkt den Blick, seufzt und schaut wieder auf.
»Kenia«, sagt er. »Die vier in der Loge stoßen mit Champagner an, weil sie eine Einigung über eine große Lieferung nach Kenia erzielt haben.«
Er verstummt einen Moment.
»Weiter«, sagt Joona.
»Kenia kauft 1,25 Millionen Einheiten in Lizenz hergestellter 5.56 x 45 mm Munition.
»Für Sturmgewehre«, bemerkt Saga.
»Die Ware wird nach Kenia geliefert«, fährt Axel fort, »aber die Munition ist nicht für Kenia bestimmt. Sie soll in den Sudan weitertransportiert werden, zur Miliz in Darfur. Plötzlich ging mir ein Licht auf. Es ist doch vollkommen klar, dass die Munition in den Sudan gehen soll, wenn man bedenkt, dass der Käufer von Agathe al-Haji repräsentiert wird.«
»Aber wie kommt Kenia ins Spiel?«, fragt Joona.
»Die vier in der Loge haben sich doch nach dem Haftbefehl gegen al-Bashir getroffen, nicht wahr? Bartóks zweites Streichquartett ist nur einmal gespielt worden. Es ist verboten, in den Sudan zu exportieren, nicht aber nach Kenia, Ausfuhren in das südliche Nachbarland sind weiterhin kein Problem.
»Wie können Sie sich so sicher sein?«, möchte Saga wissen.
»Nach Carl Palmcronas Selbstmord ist der Vorgang an mich übertragen worden. Es war sein letzter Auftrag, und er hat ihn nicht abgeschlossen. Ich habe versprochen, die Ausfuhrgenehmigung heute zu unterzeichnen«, antwortet Axel Riessen.
»Es ist die gleiche Munition, das gleiche Geschäft. Nach dem Haftbefehl gegen den Präsidenten haben sie bloß den Sudan gestrichen und stattdessen Kenia eingesetzt«, fasst Saga zusammen.
»Die Sache ist hieb- und stichfest gewesen«, sagt Axel.
»Bis jemand das Treffen fotografierte«, sagt Joona.
»Als Palmcrona sich das Leben nahm, waren die Vorbereitungen abgeschlossen, wahrscheinlich dachten alle, er hätte die Ausfuhrgenehmigung bereits unterschrieben«, sagt Axel Riessen.
»Es hat sie bestimmt ziemlich gestresst, als ihnen klar wurde, dass dies nicht der Fall war«, sagt Joona lächelnd.
»Das ganze Geschäft hing in der Luft«, bemerkt Saga.
»Ich bin sehr schnell angeworben worden«, erzählt Axel Riessen. »Man hat mir den Stift zum Unterschreiben förmlich in die Hand gedrückt.«
»Aber?«
»Ich wollte zu einer eigenen Einschätzung kommen.«
»Und das sind Sie.«
»Ja.«
»Und es sah alles gut aus?«, fragt Saga.
»Ja … und ich versprach zu unterzeichnen, und das hätte ich auch ohne zu zögern getan, wenn ich nicht dieses Foto gesehen und mit Kenia in Verbindung gebracht hätte.«