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Der süße Schlaf

Der Johan-Fredrik-Berwald-Wettbewerb war zweifellos Nordeuropas prestigeträchtigster Wettbewerb für junge Geiger. Diverse weltweit bekannte Virtuosen wurden dort entdeckt und auf einen Schlag ins große, blendende Scheinwerferlicht gerückt. Für das Finale hatten sich drei Solisten qualifiziert, in sechs Durchgängen hatten immer weniger Teilnehmer vor einer Jury gespielt. Das Finale sollte anlässlich eines live im Fernsehen übertragenen Konzerts unter der Leitung von Herbert Blomstedt vor großem Publikum stattfinden.

In Musikerkreisen galt es als Sensation, dass zwei der Finalisten, Axel Riessen und Greta Stiernlood, am Königlichen Konservatorium in Stockholm studierten. Der dritte Finalist war Shiro Sasaki aus Japan.

Für Alice Riessen, die selbst eine Berufsmusikerin gewesen war, die den großen Durchbruch nicht geschafft hatte, waren die Erfolge ihres Sohnes Axel ein großer Triumph. Insbesondere nachdem sie eine Reihe von Verwarnungen vom Rektor der Hochschule erhalten hatte, weil Axel Vorlesungen fernblieb und bisweilen den ganzen Tag über unkonzentriert und nachlässig war.

Nachdem sie die dritte Runde erreicht hatten, wurden Axel und Greta vom Unterricht befreit, um all ihre Zeit den Proben für den nächsten Durchgang widmen zu können. Im Laufe des Wettbewerbs hatten sie einander näher kennengelernt, freuten sich über die Erfolge des anderen. Vor dem Finale begannen sie, sich bei Axel zu treffen, um sich gegenseitig zu unterstützen.

Der letzte Wettbewerbsbeitrag war ein Stück, das der Geiger selbst oder in Absprache mit seinem Lehrer auswählte.

Axel und seinem jüngeren Bruder Robert standen die sieben Zimmer in der obersten Etage des großen Hauses im Stadtteil Lärkstaden zur Verfügung. Axel übte im Prinzip nie auf seinem Instrument, liebte es aber zu spielen, sich neue Stücke zu erarbeiten, Klänge auszuloten, die er noch nie gehört hatte. Manchmal blieb er bis tief in die Nacht auf, spielte auf seiner Geige und erforschte ihr Wesen, bis seine Fingerkuppen am Ende brannten.

Es blieb ihnen nur noch ein Tag. Am nächsten Abend würden Axel und Greta im Konzerthaus in der Finalrunde spielen. Axel betrachtete die LP-Cover, die auf dem Fußboden vor seinem Plattenspieler verstreut lagen. Es waren drei Alben von David Bowie, »Space Oddity«, »Alladin Sane« und »Hunky Dory«.

Seine Mutter klopfte an die Tür und trat mit einer Flasche Coca-Cola und zwei Gläsern mit Eiswürfeln und Zitronenscheiben ein. Axel bedankte sich leicht erstaunt, nahm ihr das Tablett ab und stellte es auf den Couchtisch.

»Ich dachte, ihr würdet üben«, sagte Alice und schaute sich um.

»Greta musste zum Essen nach Hause.«

»Aber du kannst doch in der Zwischenzeit weitermachen.«

»Ich warte auf sie.«

»Du weißt, dass morgen das Finale ist«, sagte Alice und setzte sich neben ihren Sohn. »Ich übe mindestens acht Stunden am Tag, manchmal habe ich zehn Stunden täglich gearbeitet.«

»Ich bin nicht einmal zehn Stunden am Tag wach«, scherzte Axel.

»Axel, du hast Talent.«

»Woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es einfach. Aber das reicht nicht, das reicht bei niemandem«, erklärte sie.

»Mama, ich übe wie verrückt«, log er.

»Spiel mir vor«, bat sie ihn.

»Nein«, entgegnete er schroff.

»Ich verstehe ja, dass du deine Mutter nicht als Lehrerin haben willst, aber jetzt, wo es darauf ankommt, könntest du es ruhig zulassen, dass ich dir helfe«, fuhr Alice geduldig fort. »Als ich dich das letzte Mal gehört habe, was immerhin schon zwei Jahre her ist, auf einem Weihnachtskonzert, hat keiner begriffen, was du da gespielt hast …«

»Bowies ›Cracked Actor‹.«

»Das war unreif … aber für einen Fünfzehnjährigen ziemlich beeindruckend«, gestand sie und streckte die Hand aus, um ihn zu streicheln. »Aber morgen, da …«

Axel entzog sich der Hand seiner Mutter:

»Kritisier mich nicht immer.«

»Darf ich erfahren, für welches Stück du dich entschieden hast?«

»Für etwas Klassisches«, antwortete er mit einem breiten Grinsen.

»Gott sei Dank.«

Er zuckte mit den Schultern und wich ihrem Blick aus. Als es an der Tür klingelte, verließ er den Raum und eilte die Treppen hinunter.

Es dämmerte bereits, aber der Schnee hatte im Freien ein indirektes Licht geschaffen, eine Dunkelheit, die sich nicht weiter verdichtete. Greta stand mit einer Baskenmütze auf dem Kopf und in einem Dufflecoat auf der Eingangstreppe. Der gestreifte Schal war um ihren Hals geschlungen. Ihre Wangen leuchteten rot von der Kälte, und die Haare, die auf ihre Schultern fielen, hingen voller Schneeflocken. Sie legte den Geigenkasten auf die Kommode im Flur, hängte ihren Mantel sorgsam auf, schnürte die schwarzen Stiefel auf und holte ihre flachen Hausschuhe aus der Umhängetasche.

Alice Riessen kam herunter und begrüßte Greta. Sie war aufgekratzt, und ihre Wangen hatten sich vor Freude gerötet:

»Es ist gut, dass ihr euch gegenseitig beim Üben helft«, sagte sie. »Du musst streng sein mit Axel, sonst faulenzt er nur.«

»Das habe ich gemerkt«, erwiderte Greta lachend.

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