Jörgen Grünlicht kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, weil das Strichmännchen mit den zerzausten Haaren tatsächlich Axel Riessen ähnelt und in der Sprechblase genau das steht: Hallo!
»Hallo«, sagt Jörgen Grünlicht.
»Es war noch zu früh«, erläutert Axel.
»Ich habe den Wink verstanden, es war nicht meine Absicht, Sie unter Druck zu setzen, auch wenn die Sache wirklich eilt«, erwidert Jörgen Grünlicht. »Der Handelsminister hat mir wieder Stress gemacht, die Leute von Silencia Defence rufen mehrmals täglich an. Aber Sie sollen wissen, dass ich Sie verstehe. Sie sind ganz neu hier und … wollen gründlich vorgehen.«
»Ja.«
»Und das ist natürlich gut so«, fährt Grünlicht fort. »Aber Sie wissen auch, dass sie die Angelegenheit auch der Regierung überlassen könnten, falls Sie unsicher sein sollten.«
»Ich bin nicht unsicher«, erwidert Axel. »Ich bin nur noch nicht fertig, das ist alles.«
»Es ist nur … von deren Warte aus ist unangemessen viel Zeit vergangen.«
»Ich stelle alle anderen Projekte zurück und kann immerhin so viel sagen, dass bisher alles sehr gut aussieht«, antwortet Riessen. »Ich habe nicht vor, Silencia Defence davon abzuhalten, das Schiff zu beladen, aber ich bin einfach noch nicht fertig.«
»Ich richte allen Betroffenen aus, dass Sie der Sache positiv gegenüberstehen.«
»Tun Sie das, ich meine, wenn ich nichts Auffälliges finde, dann …«
»Das werden Sie nicht, ich habe die Akten persönlich studiert.«
»Umso besser«, sagt Axel sanft.
»Ich werde Sie nicht länger stören«, erklärt Jörgen Grünlicht und steht von seinem Stuhl auf. »Können Sie schon abschätzen, wann Sie mit der Bewertung fertig sein werden?«
Axel betrachtet erneut das Material.
»Rechnen Sie mit zwei Tagen, da ich unter Umständen selber Informationen in Kenia einholen muss.«
»Selbstverständlich«, sagt Jörgen Grünlicht und verlässt den Raum.
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Schon gegen zehn verlässt Axel Riessen die Kontrollbehörde wieder, um zu Hause weiterzuarbeiten. Die Akten zur Ausfuhrgenehmigung nimmt er mit. Die Müdigkeit lässt ihn frieren und macht ihn hungrig, sodass er zum Grand Hotel fährt und für einen Brunch für zwei Personen einkauft. Axel geht ins Haus und trägt die Lebensmittel in die Küche. Beverly sitzt mitten auf dem Küchentisch und blättert in dem Brautmodenmagazin »Amelia Braut & Hochzeit«.
»Hast du Hunger?«, fragt er.
»Ich weiß nicht, ob ich bei meiner Hochzeit ein weißes Kleid tragen soll«, sagt Beverly. »Vielleicht lieber hellrosa …«
»Mir gefällt weiß«, murmelt er.
Axel füllt ein Tablett, und die beiden gehen zu der kleinen roten Rokokositzgruppe an der großen Fensterfront im Salon hinauf. Zwischen ihnen steht ein achteckiger Tisch aus dem achtzehnten Jahrhundert, dessen Platte die Vorliebe für Intarsien in dieser Epoche bezeugt. Das Motiv ist ein Garten mit Pfauen und einer Frau, die auf einer chinesischen Zither spielt.
Axel deckt den Tisch mit seinem Familienporzellan mit dem silberfarbenen Wappen, grauen Leinenservietten und schweren Weingläsern. Er gießt Coca-Cola in Beverlys Glas und Mineralwasser mit Limettenscheiben in sein eigenes.
Beverlys Hals ist schmal, das Kinn zierlich und schön. Da ihre Haare so kurz sind, sieht man die gesamte Rundung ihres Hinterkopfs. Sie leert ihr Glas und streckt anschließend träge den Oberkörper. Eine schöne und kindliche Geste. Er denkt, dass sie als erwachsene Frau die gleiche Bewegung machen wird, vielleicht sogar noch als alter Mensch.
»Erzähl mir noch mal von der Musik«, bittet sie ihn.
»Wo waren wir stehen geblieben?«, fragt Axel und richtet die Fernbedienung auf die Stereoanlage.
Alexander Malters überaus sensible Interpretation von Arvo Pärts »Alina« ertönt aus den Boxen. Axel schaut in sein Glas, wo die Bläschen im Mineralwasser platzen, und wünscht sich intensiv, wieder trinken zu können, wünscht sich, Champagner zum Spargel zu trinken und anschließend vor dem Schlafengehen Propavan und Stesolid zu nehmen.
Axel schenkt ihr noch etwas Cola ein. Sie blickt auf und bedankt sich wortlos. Er schaut unverwandt in ihre großen, dunklen Augen und merkt erst, dass ihr Glas überschäumt, als die Limonade auf die Tischplatte läuft. Das chinesische Motiv verdunkelt sich, als wäre die Sonne hinter Wolken verschwunden, eine feuchte Haut lässt den Park mit den Pfauen glänzen.
Er steht auf und erblickt Beverlys Spiegelbild im Fenster, sieht ihre Kinnlinie und erkennt, dass sie Greta ähnelt.
Axel möchte sich einfach nur abwenden und hinauslaufen, das Haus verlassen, zwingt sich jedoch, einen Lappen zu holen, und das Herz findet zu seinem ruhigen Rhythmus zurück.
Es ist keine frappierende Ähnlichkeit, aber Beverly erinnert in vielem an Greta.
Er bleibt stehen und fährt sich mit zitternder Hand über den Mund.
Er denkt täglich an Greta, versucht zu vermeiden, täglich an sie zu denken.
Die Woche bis zum Finale des Wettbewerbs verfolgt ihn.
Sie liegt vierunddreißig Jahre zurück, aber in seinem Leben verfinsterte sich damals alles, er war noch so jung, erst siebzehn, aber vieles war bereits vorbei.
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